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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Spielverderber war.
    » Was ist ein Drei-Zoll-Mädchen? « , erkundigte er sich schließlich, obwohl er die Antwort bereits ahnte.
    Tom warf den Kopf in den Nacken, brüllte vor Lachen und klopfte Lannie auf die Schulter. Lannie spürte, wie die Anspannung des Augenblicks sich löste. Tom wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und sagte: » Irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, du wirst es früh genug herausfinden. «

DREI
    Back Bay, Boston, Massachusetts
    15. April 1915
    D er Eingangsbereich des Hauses Beacon Street 138½ im Bostoner Viertel Back Bay war die modernere Ausgabe der Halle, die Sibyl gerade bei Mrs Dee verlassen hatte, wobei es darin wegen der fortgeschrittenen Stunde bereits fast dunkel war. Die Fassade des Stadthauses, eines vierstöckigen, braunen Ungetüms mit einem wuchtigen Erkerfenster, das sich zu einer Ulme hinauswölbte, war so dicht mit Efeu bewachsen, dass die Eingangshalle meist im Schatten lag.
    Das Haus hatte Sibyls Vater im Jahre 1888 nach eigenen Entwürfen bauen lassen und es seiner frisch angetrauten Braut Helen nach den Flitterwochen, die die beiden in Europa verbracht hatten, als Hochzeitsgeschenk dargebracht. Sibyls Mutter hatte sich voller Elan daraufgestürzt, ihr neues Haus im modernen Stil einzurichten, und Lan Allston, ansonsten kein sehr nachgiebiger Mann, hatte seiner viel jüngeren Braut jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Und so kam es, dass das Innere des Hauses in vollem Umfang Helens eher schillernden und widersprüchlichen Geschmack widerspiegelte.
    Der Garderobenständer wand sich die Dielenwand empor, ein Mahnmal des amerikanischen Ästhetizismus, der zugleich seine eigentliche Funktion erfüllte und mit Schirmen und vergessenen Hüten überladen war. Ein silbernes Tablett lief vor Visitenkarten schier über, von denen die meisten durch Fahrer abgegeben worden waren, während die Herrschaften draußen in der Kraftdroschke warteten. Lan empfing keine Gäste mehr. Sibyl betrachtete sich kurz in dem Spiegel in der Diele. Ihr Gesicht hatte in dem efeudurchtränkten Licht einen grünlichen Schimmer.
    An der Rückseite des großen Treppenhauses, das sich wie Weinreben zum Baldachin der oberen Stockwerke hochwand, prangte Helens größte Errungenschaft: das La-Farge-Fenster. Sie hatte es nie versäumt, Besuchern dieses prägende Element am anderen Ende der Halle zu zeigen, damit sie die idyllisch-ländliche Szene mit dem plätschernden Bächlein, überwuchert von Glyzinien, bewunderten, welche aus dicken Schichten von Buntglas gefertigt war.
    » Das La Farge « , hatte Helen es genannt und dabei das Wort » Fenster « einfach unterschlagen. Als kleines Mädchen hatte Sibyl das Bild eher unheimlich gefunden, denn es war etwas Abstoßendes an der Szene – fließendes Wasser, das so raffiniert in zerbrochenem und dann wieder zusammengesetztem Glas eingefangen war, dass es wie ein lebendiger Käfer wirkte, der in Bernstein eingeschlossen war.
    Die Schiebetür zum großen Salon war zu, und Sibyl strich mit den Fingerspitzen über ihre lackierte Oberfläche, auf der zwei Pfauen stolz ihre geschnitzten Schwanzfedern präsentierten. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, welche Stimmung sie dort drinnen erwarten würde. Lan Allston hatte viele verschiedene Gesichter, und Sibyl vermutete, dass sie noch längst nicht alle von ihm gesehen hatte. Dasjenige, das gewöhnlich ihr galt, war eine freundliche, aber reservierte Miene, die eine etwas distanzierte Zustimmung signalisierte, ganz anders als die, die ihrem Bruder zugedacht war. Andere von Lans Gesichtern, das wusste sie, waren schon lange zusammen mit jenem unglückseligen Ozeandampfer in den Tiefen des Atlantiks versunken.
    Leise schob sie die Schiebetür beiseite und trat in den Salon, wobei sie zuerst ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen musste. Der Raum war in unterschiedlichen Blautönen gehalten, das Mobiliar aus dunklem und meist lackiertem Holz. Hier dominierte Helens Faible für den Art nouveau; allerlei Baum- und Vogelmotive fanden sich auch in dem chinesischen Teppich und den objets wieder, die wie zufällig auf den verschiedenen Tischen drapiert waren. Das Erkerfenster hatte Sitzbänke, die mit gelber Seide gepolstert waren, ein Stoff, über den Sibyl, als sie noch klein und hungrig nach Sinneseindrücken gewesen war, besonders gern mit der Hand gestrichen hatte. Samtvorhänge schlossen das Licht von der Straße aus. Die meisten Häuser an der Beacon Street verfügten schon seit Langem über

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