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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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beschwichtigen.
    » Tom « , stieß der ältere Seemann hervor. » Bloß weil du aus irgendeiner vornehmen Familie stammst, heißt das noch lange nicht, dass du was Besseres bist als ich. Hier nicht. Du nennst mich Mister Morgan, bis ich dir was anderes sage. « Er versetzte Lannie einen Schubs mit den Fingerspitzen, die so hart waren wie die Kante einer Schaufel.
    Ein Gefühl des Déjà-vu überkam Lannie wie eine Übelkeit erregende Welle. Er erstarrte. Er sah Tom, der ihn unflätig beschimpfte, doch die Gedanken tobten so sehr in ihm, dass er kein Wort davon hörte. Er spürte, wie sich der Kreis der Seeleute um ihn schloss, die allesamt gierig auf Gewalt zu sein schienen. Und er selbst stand reglos in der Mitte. Er und Johnny. Die Situation war leicht verändert – und doch unverkennbar.
    » Johnny « , sagte Lan, in dem verzweifelten Versuch, ruhig zu bleiben. » Du musst jetzt gehen. Jetzt sofort. «
    Der junge Chinese rollte bereits seine Ärmel auf, ohne den betrunkenen Seemann aus den Augen zu lassen. » Ich glaube nicht, Yankee « , erwiderte er mit todernster Miene. » Ich glaube, es ist besser, wenn ich bleibe. «
    » Nein. « Lannie packte Johnny an den Schultern und blickte ihm ins Gesicht. » Hör mir zu. Du musst gehen. Du musst auf der Stelle gehen! « Er schüttelte ihn, grub seine Finger in die Schultern des jungen Studenten.
    In der Gruppe der Seeleute gab es Gelächter, und Tom stieß ein gemeines Lachen aus. » Da hätten wir’s « , provozierte er ihn. Er rollte mit den Schultern, was den blauen Papagei dazu brachte, mit einem Krächzen abzuheben und in einem der Pflaumenbäume zu landen. » Schick deine Kammerzofe weg. Um dich kümmere ich mich lieber selbst. «
    Bei Toms letztem Wort schrie Johnny: » Duck dich! «
    Ohne nachzudenken, tat Lannie, wie ihm geheißen, und so zischte die Faust des Seemanns weit über seinen Kopf hinweg durch die Luft. Aus der Hocke blickte Lannie gerade rechtzeitig nach oben, um zu sehen, wie Johnnys Faust krachend auf Toms Nase landete. Tom taumelte zurück, hielt sich die Hände vors Gesicht, während die anderen Seeleute applaudierten und lachten. Geldscheine wechselten die Besitzer. Lannie stand da, neben sich Johnny, der die Finger seiner rechten Hand streckte, und sagte: » Nun ist es genug. Machen wir Schluss und gehen aufs Schiff zurück. «
    Ein paar Meter von ihnen entfernt stand schwankend Tom. Er kehrte ihnen den Rücken zu, und ein zähes Rinnsal Blut tropfte vor seinen Füßen in den Staub. Er beugte sich vor, legte die Hände auf die Knie, atmete schwer.
    » Okay? « , rief Lannie. » Wir gehen jetzt alle aufs Schiff zurück. Nichts für ungut! «
    Aus Lannies Perspektive sah es so aus, als würde Tom mit gesenktem Kopf nicken. Lannie spürte das Blut in seiner Halsschlagader pulsieren. In diesem Moment fuhr Tom mit einem kehligen Schrei herum und stürzte auf Lan und Johnny zu. Über seinem Kopf schwenkte er einen Stuhl.
    » Johnny, runter! « , schrie Lan und duckte sich vor dem Schlag. Doch er kam nicht; stattdessen sah Lan unter seinem Arm hindurch, wie der Stuhl in Toms Händen mit einem lauten Krachen auf Johnnys Schädel landete. Der Student fuhr herum, rollte mit den Augen, bis man nur noch das Weiße sah, dann brach er im Staub zusammen, die Handflächen nach oben gedreht, die Augen offen und glasig, das Kinn in einem unnatürlichen Winkel abgeknickt. Ein Bein zuckte. Stille senkte sich über den Kreis der Seeleute, alle traten erschrocken zurück.
    Blind vor Angst kauerte Lan über dem am Boden liegenden Johnny. Er drückte die Finger an die Kehle des anderen Jungen, suchte unterhalb seines Kiefers nach seinem Pulsschlag. Der Kiefer fühlte sich weich an, als wäre er zertrümmert. Aus einem der Nasenlöcher rann Blut. Johnny atmete nicht. Sein Körper wirkte leer, ein Gefäß ohne Inhalt. Die anderen Seeleute waren mucksmäuschenstill. Lan hörte kein Geräusch außer dem Keuchen von Tom, der im Innenhof auf und ab ging, den Stuhl noch immer zum Schlagen bereit.
    Irgendwo tief in Lans Inneren machte sich ein Schrei Luft, er stieg mit einem lauten Ächzen in seiner Brust auf und entrang sich schließlich seinem Mund, ein angstvolles Wehklagen, wie das eines verwundeten Tieres. Er sprang auf und lief auf den älteren Seemann zu, ohne darüber nachzudenken, die Fäuste geballt. Der andere Mann holte mit dem Stuhl aus, als wäre er ein Baseballspieler, der sich auf einen Schlag vorbereitet. Als Lannie fast bei ihm war, schlug er zu, nur

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