Die Frauen von der Beacon Street
nein, verstehe. Bleiben Sie kurz hier, ja?
» Ben? Hallo? Können Sie mich hören? « , sagte sie, lauter jetzt, obwohl es ihr unangenehm war, in voller Lautstärke zu sprechen, während das ganze Haus schlief. Ihre linke Hand hielt den Kragen ihres Morgenmantels vor der Brust zusammen, als wollte sie ihre Blöße bedecken, was in dieser Situation lächerlich war, sie jedoch nicht unterbinden konnte.
» Sibyl! Da sind Sie ja! « Dann fügte er noch, an die andere Person gerichtet, hinzu: Nein, ist alles in Ordnung, jetzt hab ich sie dran. Danke.
» Ben, welche Freude « , begann Sibyl. » Obwohl ich zugeben muss, dass es schon etwas … «
Bevor sie fortfahren konnte, unterbrach Benton sie. » Tut mir leid, dass ich noch so spät anrufe und so unerwartet noch dazu. Sie wissen ja, ich würde Sie nie belästigen wollen, aber … «
» Nein, nein « , fiel ihm Sibyl ins Wort.
» Wie bitte? Was? « , fragte Benton.
Sibyl lächelte und wartete. Ihr Anrufer wartete ebenfalls. Sie holte tief Luft. » Machen Sie sich wegen der späten Stunde keine Gedanken. Ich war noch auf. Nur zu, was kann ich für Sie tun? «
» Schauen Sie, es ist spät, und es geht eigentlich nicht, dass fremde Männer Sie mitten in der Nacht anrufen. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie vielleicht an einem der nächsten Nachmittage bei mir im Büro vorbeikommen könnten. «
» Oh! « Sibyl stutzte verwirrt. Eine seltsame Bitte angesichts der Tatsache, wie viel Zeit vergangen war. Was konnte er wohl wollen? Sibyl war sich nicht einmal sicher, in welcher Branche Benton mittlerweile tätig war. Er hatte eine Weile mit ihrem Vater zusammengearbeitet, aber das war Jahre her. Und unter vier Augen hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen seit dem Tag, bevor er nach Italien abgereist war. Mit seiner jungen Braut, einem schmalen Persönchen mit zarter Haut und einem hartnäckigen Husten. Lydias Gesundheit war für den rauen Winter in Neuengland zu angegriffen gewesen. Damals hatten sie im Erkerfenster beisammengesessen, als er es ihr gesagt hatte. Frisch gefallener Schnee lag auf dem Fensterbrett, ein Anblick, der Sibyl mit seiner Unschuld geschmerzt hatte. Sie hatten sich gegenseitig versprochen, in Kontakt zu bleiben, sobald die Derbys aus dem Ausland zurückkehrten.
Doch das war nicht geschehen.
Ihre Augen wurden dunkel bei der Erinnerung daran, wie damals all ihre Hoffnungen zerplatzt waren wie eine Seifenblase, doch sie schob den Gedanken entschlossen beiseite. Jener Teil ihres Lebens war vorüber. Es hatte keinen Sinn, jetzt noch darüber zu grübeln. Ihr fiel ein, dass Harlan einmal erwähnt hatte, er sehe Benton von Zeit zu Zeit im Club oder auf dem Campus. Er hatte sogar voll missgünstigem Sarkasmus bemerkt, Benton habe eine Stellung in Westmorly Hall angenommen, wenngleich er, wie es für Harley so typisch war, keine näheren Angaben dazu machen konnte. Vielleicht war Harleys Gleichgültigkeit ja nur vorgeschoben, und er wollte sie vor der Tatsache schützen, dass Benton wieder da war. Vielleicht aber auch nicht – auch ihr Bruder hatte es schwer aufgenommen, als Benton statt sie Lydia Pusey geheiratet hatte.
» Nun « , meinte Sibyl langsam. » Ich kann sicher einen Nachmittag frei machen, denke ich. Mir kommt jede Ausrede recht, irgendeiner Sitzung eines Wohltätigkeitskomitees zu entgehen. Aber was kann ich denn überhaupt für Sie tun? «
» Nun, ich rufe vom Swithin an. « Er zögerte.
In diesem Moment fiel bei Sibyl der Groschen. Sie spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog, und sie wünschte, sie hätte beim Abendessen weniger gegessen. Er war Harlan über den Weg gelaufen. Dorthin war Harlan also gegangen, als er vor dem Abendessen ausgebüxt war. Ihr Bruder musste ihn in irgendeiner Weise brüskiert haben, und jetzt war es an Sibyl, die Wogen wieder zu glätten. Benton rief also nur aus Höflichkeit an.
» Morgen « , schlug sie vor. » Wenn Sie mir nur noch einmal sagen, wo genau … «
Er lachte und sagte, an jemanden neben dem Telefon gerichtet: Gleich, gleich! Zu Sibyl meinte er: » Natürlich, tut mir leid. Ich unterrichte momentan in Cambridge. «
» Ach, wirklich? « , rief Sibyl mit nicht geringem Unbehagen aus. Er war also die ganze Zeit da gewesen und hatte sich nie gemeldet. Dann musste Harlan wirklich in Schwierigkeiten stecken.
» Ja, so ist es. « Sie hörte das bescheidene Grinsen in seiner Stimme.
» Man stelle sich das vor! Benton Derby, der Professor. «
» Schätze, der Gedanke ist noch ungewöhnlicher für
Weitere Kostenlose Bücher