Die Frauen von der Beacon Street
Verlegenheit bringen. Benton ballte die Fäuste, während alle überlegten, wie denn nun weiter zu verfahren war.
Schließlich räusperte sich Lan Allston.
» Es ist wirklich gut, wie sehr Sie um das Wohlergehen meines Sohnes besorgt sind « , sagte er und klang dabei weniger wie der edle Patriarch als vielmehr wie der erfahrene Seebär, der sich mit diplomatischem Geschick die Ränge hochgedient hatte. » Vielleicht wäre es eine bessere Gelegenheit, wenn der Junge wieder bei sich ist. «
Ihr Vater hatte jedem der Polizisten eine Hand auf die Schulter gelegt, sie mit ernster Miene gedrückt und dann beiden die Hand geschüttelt, wobei er seinen eisblauen Blick direkt in die Augen der Männer richtete. Die Polizisten zuckten die Achseln, nur allzu bereit, einen langen Tag endlich einem wohlverdienten Ende zuzuführen, und voller Vorfreude auf eine Mahlzeit aus kaltem Braten am Küchentisch, während die ganze Familie noch schlief. Ohne weiteres Aufhebens und mit sichtbarer Erleichterung zogen sie sich zurück und legten die Lösung der Situation in die Hände des betagten Seemanns.
Sibyl hängte ihren Morgenmantel über die Lehne eines Stuhls und streckte zuerst einen und dann den anderen nackten Fuß in das heiße Badewasser. Dann ließ sie sich selbst in die warmen Fluten sinken und spürte, wie ihre Sinne durch die prickelnde Mischung aus heißem Wasser und eisigem Porzellan geweckt wurden. Sibyl lehnte den Kopf an die Rückseite der Wanne, machte genüsslich die Augen zu und spürte, wie sich ihre schmerzenden Glieder entspannten.
In wenigen Tagen, hatte es geheißen, würde Harlan nach Hause kommen. Natürlich bedurfte er dann noch der Pflege – seine Verletzungen mussten gesäubert und frische Verbände angelegt werden, und es musste für ihn Essen gekocht werden, das er mit seinen wunden Lippen und seiner dicken Backe zu sich nehmen konnte. Dann war da die Frage, wie es am College mit ihm weitergehen sollte. Und das Problem mit den Schulden. Harley – wie immer ein ganzes Bündel offener Fragen. Sibyl ließ sich tiefer ins Wasser gleiten, nur ihre Knie ragten aus der Seifenlauge, und das Wasser reichte ihr bis an die Lippen.
Ihr Vater hatte die Umstände im Krankenhaus gut geregelt. Doch es passte zu ihm, dass er in einem Moment der Krise das Heft in die Hand nahm. War dieser erst vorüber oder fügte sich auf andere Weise ins Normale, dann würden die geringfügigeren Aspekte der Lösung ihr überlassen. Sibyl faltete die Arme auf der Brust und ließ sich noch weiter ins Wasser sinken, als könnte sie sich damit der Bürde ihrer Verantwortung entziehen. Langsam glitt sie mit dem Kopf unter Wasser und ließ sich treiben, lauschte ganz allein dem Pulsieren des Blutes in ihrem Körper und dem rhythmischen Schlag ihres Herzens.
Eine Luftblase stieg aus einem ihrer Nasenflügel hoch. Sibyl spürte die verlockende Anziehung des Nichts, der Wärme und Leere, und beschloss, sie noch einen Augenblick zu genießen. Eine weitere Luftblase stieg an die Oberfläche empor.
Ohne Vorwarnung griff eine stählerne Hand sie am Oberarm und zog sie nach oben. Sibyl schnappte überrascht nach Luft, wobei ihr Wasser in die Nase und in die Kehle drang, eine Flüssigkeit, die säuerlich-blumig nach Lavendelseife schmeckte. Hustend und spuckend richtete sich Sibyl mit einem Platschen auf, das nasse Haar ans Gesicht geklatscht. Wasser rann ihr von den Lippen, ihren Fingerspitzen, dem Kinn.
» Miss! « , rief eine Stimme.
Sibyl blickte in das erschrockene und besorgte Gesicht von Mrs Doherty, die über sie gebeugt vor der Wanne stand, einen Ärmel hochgekrempelt und mit einem Badetuch in der Hand. Die Haushälterin war es gewohnt, ohne Klopfen einzutreten, was sich auch nicht geändert hatte, als Sibyl alt genug war, alleine zu baden. Hinter dem betont ungerührten Blick der Haushälterin erkannte Sibyl deutlich Besorgnis, in die sich mühsam kontrollierte Panik mischte. Sibyl holte krächzend Luft und krallte sich mit den Händen an die Ränder der Badewanne, das Gesicht gerötet und ganz offensichtlich putzmunter. Als sie sah, dass Sibyl nichts geschehen war, wandelte sich die Miene der Haushälterin von Beunruhigung zu Missbilligung.
» Oh! « , keuchte Sibyl und strich sich mit einer Hand das nasse Haar aus dem Gesicht, während sie mit den Armen ihre Scham zu bedecken suchte. Sibyls Wangen röteten sich vor Verlegenheit und Ärger. Mrs Doherty starrte sie durchdringend an, offenbar mehr beunruhigt über ihren mentalen
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