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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Seufzer der Erleichterung darüber aus, dass ihr Vater offenbar wieder ganz und gar mit dem Kriegsgeschehen beschäftigt war, anstatt sich der Situation im Haus zu widmen. Dabei hatte sie keine Ahnung, wovon genau er sprach. Was auch immer es war, es klang furchtbar.
    Sibyl übte sich redlich in der von Helen eingeimpften Angewohnheit, ihre Ohren und damit auch ihr Denken vor unangenehmen Dingen zu verschließen – eine der wenigen charakterlichen Gemeinsamkeiten von Sibyl und Helen, die wie kaum eine andere Eulah in den Wahnsinn getrieben hatte.
    » Wie kannst du nur so schrecklich unwissend sein, Mutter « , hörte Sibyl ihre Schwester fragen, als sie eines Morgens an genau diesem Frühstückstisch gesessen hatte. Ihre befehlsgewohnte Schwester hatte immer schon darauf bestanden, es gebe kaum etwas Schlimmeres als bewusste Ignoranz kruder menschlicher Wahrheiten. » Ich kann es nicht hinnehmen, ich kann es einfach nicht. «
    Eulahs Lieblingsthema vor ihrem Ableben war die Einführung des Frauenwahlrechts gewesen, eine Passion, die kein anderes Mitglied der Familie Allston geteilt hatte.
    » Wirklich, mein Liebes « , hatte Helen gegurrt. » Du verhältst dich so, als hätten die Frauen nicht sowieso schon die Hosen an. Wozu brauche ich denn überhaupt dieses Wahlrecht? Dann müsste ich ja anfangen, Zeitung zu lesen und auf irgendwelche Parteiversammlungen zu gehen. Wer hat dazu die Zeit? «
    » Mutter! « , schrie Eulah. » Du kannst doch nicht ewig nur Papa für dich sprechen lassen. Willst du denn nicht deine eigene Meinung vertreten? Hast du denn selbst gar nichts zu sagen? «
    » Nun, meine Ansichten decken sich mit denen von Papa « , beschwichtigte Helen sie. » Papa denkt in allem wie ich, und das ist wichtig. Jedenfalls hätte ich keine Lust, mich mit den Konsequenzen der Gesetzgebung zu befassen. Du etwa? Stell dir doch mal vor, wenn man dann eine falsche Entscheidung trifft. Allein der Gedanke macht mich müde. «
    » Sibsie « , kreischte Eulah wutentbrannt und suchte moralische Unterstützung bei ihrer Schwester. » Ich kann das einfach nicht glauben! Und du sitzt nur da wie ein Klotz und sagst keinen Pieps! «
    Bei dieser letzten Bemerkung hatte ihre jüngere Schwester die Serviette auf den Tisch gepfeffert und war aus dem Esszimmer gestürmt, wobei sie in ihrer Hast auch noch an einen Stuhl stieß, der mit lautem Poltern umfiel. Eulah hatte immer schon ein Faible für dramatische Abgänge gehabt.
    » Hat bestimmt ihre Tage « , brummte ein übel gelaunter Harlan, woraufhin ihre Mutter zischte: » Das hab ich nicht gehört, Harlan! « Vielleicht hatte sie ihren Sohn sogar mit dem Rücken ihres Buttermessers gezüchtigt, aber daran konnte sich Sibyl nicht mehr genau erinnern. Helen war eine große Verfechterin von Schicklichkeit gewesen, die sie notfalls auch mit dem Frühstücksbesteck durchsetzte.
    Den gleichen Zug selbstgerechter Unduldsamkeit wie in Eulah hatte Sibyl auch in Harlan entdeckt, obwohl dessen Ansichten mit einer Naivität durchwirkt waren, die Eulah, trotz ihres behüteten Aufwachsens, nie besessen hatte. Und ganz gewiss zog er das Zuhören dem Reden vor. Während Eulah bei Clubversammlungen und Demonstrationen unter Spruchbändern ihre politische Meinung kundtat, beschränkte Harlan seinen Aktivismus auf brummig vorgebrachte Meinungsäußerungen innerhalb der sicheren Grenzen des Hauses an der Beacon Street. Harlan hatte überaus klare Vorstellungen davon, wie die Welt sein sollte, doch seine Meinung bildete er sich hauptsächlich beim Blick aus dem Wohnzimmerfenster. Natürlich war es ihm bislang noch nicht gelungen, diese vordergründigen Ideale auch in die Tat umzusetzen. Dennoch hegte er sie in Hülle und Fülle.
    Sibyl musste lächeln, denn sie war sich sicher, dass Harlan mit einer solch gnadenlosen Charakterisierung nicht einverstanden gewesen wäre. Und was war mit Sibyl selbst? Sie begnügte sich meistens damit, sich zurückzuhalten und zuzuschauen, wie die ausgeprägteren Persönlichkeiten ihrer Mutter und Geschwister aufeinanderkrachten. Doch im Grunde ärgerte sie sich darüber.
    Jetzt nahm sie in ihrem Stuhl Haltung an und fragte: » Ach, wirklich? Chlorgas, sagst du? «
    Ihr Vater ließ die Zeitung sinken und richtete seine blauen Augen auf sie. Sie nippte mit einem gefälligen Lächeln an ihrem Kaffee, griff dann zur Gabel und rührte mit einer geübten Geste des vorgetäuschten Essens in ihren Eiern herum.
    » Hm « , machte ihr Vater und versuchte womöglich, das

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