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Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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sich in ihrem Schoß verknoteten, straften sie Lügen. Dovie lachte.
    Der sauertöpfische Junge tauchte wieder auf, kniete vor dem Tisch und lud darauf eine dicke Teekanne aus Keramik, zwei Tassen ohne Henkel sowie einen Teller mit klebrigen Süßigkeiten ab – dem Kuchen. Der Junge lüpfte den Deckel der Kanne, schnupperte verächtlich und ließ den Deckel klappernd wieder fallen, um einzugießen. Sibyl nahm vorsichtig einen Schluck. Das Gebräu war ganz anders als der Tee, den sie gewohnt war – blass und leicht scharf.
    Dovie nahm einen der Kuchen in die Finger. Sie kaute und lachte zur selben Zeit, schüttelte ihr Haar, und Sibyl lächelte, weil sie spürte, dass sich ihr Unbehagen allmählich in Luft auflöste.
    » Du hast doch die Kugel mitgebracht, oder? « , fragte Dovie.
    Sibyl holte aus ihrer Tasche die blaue Kristallkugel hervor. Dovie wischte sich die klebrigen Finger an ihrem Rock ab – Sibyls Rock – und streckte die Hand nach der geheimnisvollen Kugel aus. Kaum war sie in seinem Besitz, lehnte sich das Mädchen auf der Chaiselongue zurück, zog die Knie unter und gluckste schelmisch vor sich hin. Dovie rollte die Kugel zwischen den Handflächen hin und her, während Sibyl sie dabei beobachtete und an ihrem Tee nippte.
    » Sieh nur, wie sie glitzert « , rief Dovie aus. Und es stimmte – die Oberfläche der Kugel schien den Feuerschein regelrecht in sich aufzusaugen, bis sie mit blassen, wirbelnden Schlieren überzogen schien, als hätte man sie in Öl getaucht.
    » Du meinst also, sie braucht ein anderes Licht? « , wollte Sibyl wissen. » Ich habe es bei dem Medium im Salon probiert, weiß du. Ein besseres Licht zum Hellsehen dürfte kaum zu finden sein. «
    » Hm. « Dovie warf Sibyl einen wissenden Blick unter ihren Wimpern hervor zu.
    Am anderen Ende des Raumes zog jemand das Grammophon auf, und der gleiche, traurige Song erklang.
    Ein Mann kam schlurfend herbei. Er trug ein Tablett auf unsteten Armen. Er war ledrig und alt, oder zumindest wirkte er so, denn bei genauerer Musterung kam Sibyl zu dem Schluss, dass er jedes Alter zwischen dreißig und sechzig haben konnte. Unter dem schlaffen Fleisch seines Gesichts zeichnete sich deutlich der Schädel ab, die Wangen waren eingefallen und schienen die Kontur seiner Zähne nachzuformen. Seine Kleidung – gut geschnitten, aus Leinen – hing schlaff an seinem Körper herab, als wäre sie für jemand anderen genäht worden – vielleicht für den Mann, der er einst gewesen war. Dieses geisterhafte Wesen kniete nun neben ihrem Tisch, schob mit geübten Bewegungen die Teekanne beiseite. Dabei hob er kein einziges Mal den Blick, als wären die beiden Frauen gar nicht da.
    » Quincey ist der Beste « , wisperte Dovie und beobachtete ihn gespannt.
    Der Mann setzte das lackierte Tablett auf dem Tischchen ab und vergewisserte sich, dass es nicht kippen konnte, bevor er sich mit langsamen Bewegungen an den verschiedenen Utensilien zu schaffen machte, die darauf untergebracht waren. Eine Lampe aus geschliffenem Kristall, ohne Abzug, bereits angezündet. Zwei lange Nadeln, wie Stricknadeln, aber dünner, die mit ihrem schmalen Ende in einem Ständer steckten. Eine vergoldete Schere mit schmalen Branchen, die wie zwei Schwanenhälse gebogen waren. Ein zarter Silberlöffel. Eine polierte Holzschachtel mit Einlegearbeiten aus Perlmutt und einer Verzierung aus Golddraht, der wie eine Blume geformt war. Und schließlich zwei längliche Bambusröhrchen, jeweils mit getriebenen Silberkappen an einem Ende und flachen, blauweißen Keramikschälchen auf der Höhe von zwei Dritteln, die mit reich verzierten, schnörkeligen Silberhalterungen angebracht waren.
    Sibyl beobachtete, wie der Mann diese geheimnisvollen Gegenstände auf dem Tablett hin und her schob. Er kauerte auf seinen Fersen und war ganz in seine Tätigkeit versunken. Dabei hatte er die Lippen gespitzt, und während er nach der Schachtel mit den Einlegearbeiten langte, mahlten seine Kiefer so, wie es ein Verhungernder täte, dem man eine Schale mit reifem Obst vor die Nase stellt. Sibyl wurde von einer vagen Unruhe erfasst und blickte über ihre Schulter. Die gotische Uhr tickte, das Grammophon spielte. Alles wie gehabt.
    Als sie den Kopf zurückdrehte, beugte sich Dovie nach vorn und hatte die fein geschwungenen Lippen bereits um das silberne Ende des Bambusröhrchens gelegt. Jetzt kippte sie das Keramikschälchen, brachte es näher an die Lampe heran. Der Mann, der immer noch kniete, hielt eine der

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