Die Frauen von der Beacon Street
Nadeln zwischen Fingerspitzen und Daumen und stocherte mit dem spitzeren Ende in einem winzigen Loch in der Schale herum. Er und Dovie brachten diesem Unterfangen vollste Aufmerksamkeit entgegen, und auf einmal, mit überwältigender Gewissheit, begriff Sibyl, wo sie sich befand. Sie errötete, weil sie so unwissend gewesen war.
» Dovie « , begann sie, geriet jedoch ins Stocken, als sich die Lider des Mädchens flatternd schlossen.
Dovie zog die weiche Haut der Wangen nach innen, während sie an dem sog, wovon Sibyl jetzt wusste, dass es eine Pfeife war.
Das Mädchen hielt inne, legte sich auf die Seite, die bestrumpften Füße verschränkt, und ließ dann den Kopf mit einem seufzenden Lächeln auf das Kopfende sinken. Die Pfeife rutschte in ihren Händen nach unten. Unter schweren Lidern blickte Dovie zu Sibyl. Ihre Augen glitzerten im Feuerschein, während sich träge ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, es ganz weich machte und sie noch jünger wirken ließ, als sie war.
» Ist schon in Ordnung « , murmelte das Mädchen mit gedehnten Silben. » Wirklich. Quincey wird es dir zeigen. «
Dovie holte tief Luft und hielt mit einer Hand die Pfeife, während sie die andere weit über ihren Kopf ausstreckte, bis sie mit köstlicher Gleichgültigkeit am Kopfende zu liegen kam.
» Aber ich … « Sibyl fehlten die Worte.
Sie lauschte in ihrem Inneren nach der mahnenden Stimme ihrer Mutter, der Stimme, die ihr immer gesagt hatte, wie sie sich zu benehmen hatte. Eigentlich war sie nie verstummt, diese Stimme, als würde Helen Sibyl noch immer über die Schulter schauen. Doch in dieser Frage konnte Sibyl sie nicht hören, sie war verstummt. Sollte sie etwa schockiert sein? Wütend? Hätte sie etwa wissen sollen, wohin Dovie sie geführt hatte?
» Ich verstehe das nicht « , sagte Sibyl.
» Die Visionen « , hauchte Dovie, ließ sich noch tiefer in den seidenen Diwan sinken. Ihr Daumen spielte am Schaft der Pfeife.
Langsam sank ihre Hand nach unten, schob sich in die Falten ihres geborgten Rockes und zog die Glaskugel hervor. Sie hielt sie sich nah ans Gesicht, rollte damit über ihre Stirn, die Nase hinab bis zu ihren Lippen, übers Kinn, den Hals hinunter bis zu ihrer Kehle. Auf ihren Lippen spielte ein benommenes Lächeln.
» Ich wollte, dass du es einmal erlebst « , sagte Dovie. » Es schenkt einem die herrlichsten Träume. «
VIERZEHN
Q uincey hockte auf den Fersen vor dem Tisch und machte sich an den Utensilien zu schaffen. Er tauchte die lange Nadel in einen braunen Klumpen, der, in Zellstoffpapier gewickelt, in der Schachtel lag, und rollte ihn so lange hin und her, bis eine vollkommen geformte Perle Opium am Ende der Nadel hing. Dann hängte er die Nadel an den Ständer und hielt Sibyl die andere Bambuspfeife hin. War das denn wirklich so schlimm? Der Captain hatte es vor Jahren in China auch probiert. Und nach seiner Schilderung war es eher langweilig. Ist es nicht wert, dafür noch mal in den Krieg zu ziehen, hatte er mit seiner typisch herablassenden Art gesagt. Sie blickte zu Dovie und sah, wie ein Ausdruck reiner Wonne auf dem Gesicht des Mädchens erblühte.
» Ich weiß nicht, was ich machen soll « , sagte Sibyl zu sich selbst ebenso wie zu Dovie.
» Quincey wird es dir zeigen « , wisperte sie. Ihre Hand schwebte langsam vor ihrem Gesicht hin und her, als würde sie die Konturen unsichtbarer Formen nachzeichnen.
Sibyl beobachtete fasziniert, wie sie sich bewegte.
Quincey wartete, die Nadel auf den Fingerspitzen balancierend, mit niedergeschlagenen Augen. Der Moment war gekommen.
Visionen, hatte Dovie gesagt. Sibyl hatte es so oft versucht. Wenn sie bei Mrs Dee war, hatte es für sie den Anschein gehabt, als schwebe die Geisterwelt irgendwo genau außerhalb ihrer Reichweite, kaum zu sehen, aber fast nah genug, um sie zu berühren. Die Anziehungskraft dieser Welt war quälend und verführerisch zugleich.
Ein lange schlummernder Teil von Sibyl rührte sich, als wäre die neugierige junge Frau, die sie einmal gewesen war, endlich dazu in der Lage, sich aus dem Gefängnis zu befreien, in das die erwachsene Sibyl sie gesperrt hatte. Ihre Hände hielten etwas unbeholfen die Pfeife, während sie sich vorbeugte und die Ellbogen auf die Knie legte. Quincey grunzte und gab ihr mit einer Reihe von Gesten zu verstehen, dass sie es sich auf der Chaiselongue bequem machen solle.
» Oh « , entfuhr es Sibyl verlegen.
Sie schlüpfte aus den Schuhen, lehnte sich steif und ungelenk zurück und
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