Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen von der Beacon Street

Die Frauen von der Beacon Street

Titel: Die Frauen von der Beacon Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
Vom Netzwerk:
das auf den Startschuss eines Wettrennens wartet. Drinnen wurde hörbar diskutiert. In Sibyls Magen grummelte es.
    » Miss Whistler, was … « Sibyl wurde unterbrochen, als die Tür einen Spalt breit aufging. Von drinnen kam keine Aufforderung einzutreten, und Sibyl war sich nicht einmal sicher, ob die Tür überhaupt absichtlich geöffnet worden war.
    » Sag Dovie und du, blöde Gans. Komm schon. « Dovie lächelte und hakte sich bei Sibyl unter. Sibyl ließ sich vorwärtsschieben.
    Ein triefäugiger Mann wartete drinnen, begrüßte sie mit einem argwöhnischen Blick und einem winzigen Kopfnicken.
    » Ach Creesy, schön dich wiederzusehen! « , zwitscherte Dovie und winkte dem Mann etwas neckisch mit wackelnden Fingern zu, eine kokette Begrüßung, die Sibyl ebenso liebenswert wie kalkuliert fand. Der Mann achtete gar nicht darauf, sondern bedeutete ihnen mit ausgestrecktem Arm, dass sie den Flur entlanggehen sollten. Dovie erwiderte die Aufforderung mit fröhlichem Lachen und verstärkte ihren Griff um Sibyls Arm.
    » Keine Sorge, der ist immer so. Ich glaube aber nicht, dass er wirklich stumm ist. « Den letzten Teil sagte Dovie so laut, dass der Mann ihn mitgehört haben musste.
    Sibyl errötete angesichts Dovies Ungezogenheit, ließ sich jedoch immer weiter in das Gebäude hineinziehen. Der Flur war schmal, dunkel und mit einem dicken Teppich belegt. Wandleuchter gaben nur ein schummriges Licht ab, und so schien der Korridor die beiden Frauen regelrecht zu verschlucken. Nach dem hellen nachmittäglichen Frühlingslicht war die Stimmung hier drinnen bedrückend, doch Dovie leuchtete ihnen mit ihrer Entschlossenheit und Begeisterung. Schließlich kamen sie zu einem steilen Treppenaufgang, in dem ganz leise der Widerhall eines Grammophons zu hören war. Über ihnen knarrten Schritte, doch es schien niemand zu reden. Sibyl blieb zurück.
    » Ich nicht. Das heißt, ich kann nicht … « , protestierte Sibyl.
    » Ach, komm schon « , lockte Dovie. » Es gibt nichts zu befürchten, wirklich nicht. «
    Dovie schenkte ihr ein himmlisches Lächeln, und Sibyl ließ sich von ihrem Selbstvertrauen einhüllen. Jetzt begann Dovie, die Treppe hochzusteigen, und Sibyl folgte ihr, einen vorsichtigen Schritt nach dem andern. Hinter der letzten Treppenstufe versperrte ein scharlachroter Samtvorhang mit goldenen Quasten den Blick. Dovie schlüpfte hindurch und verschwand in dem noch nicht sichtbaren Raum. Sibyl blieb stehen, nahm ihren ganzen Mut zusammen und folgte ihr.
    Sie trat in einen üppig ausgestatteten Salon mit hoher Decke und geschnitztem Stuckwerk. Rote Vorhänge schlossen jeglichen Sonnenschein aus und schufen ein gemütliches Dämmerlicht, das Raum und Zeit vergessen ließ. Licht spendeten nur zwei wuchtige Messingkandelaber, die ihre Arme weit ausstreckten wie Insektenbeine, dazwischen waren in unregelmäßigen Abständen Kerzenleuchter aufgestellt. Zwei Kamine öffneten sich an gegenüberliegenden Seiten des Raumes, beide mit Simsen aus Walnussholz. Hinter den Schirmen knisterte das Feuer.
    Die Möbel sahen aus wie aus Tausendundeiner Nacht oder auch wie eine Karikatur davon. Auf dem Fußboden buhlten mehrere exotische Teppiche, sowohl türkischer als auch chinesischer Herkunft, mit ihren roten und ockerfarbenen Mustern, einem wilden Sammelsurium aus geometrischen Elementen und lebensecht gestalteten Blättern um Aufmerksamkeit. An den Wänden standen, jeweils in gemütlichen Dreier- und Vierergruppen, Chaiselongues, halb im Dunkeln versteckt, und auf allen ruhten Frauen oder Männer, deren Gesichter kaum zu erkennen waren.
    Ein paar Seidenkissen lagen, zu einladenden Lagern aufgetürmt, vor den Kaminen. Auf flachen, emaillierten Tischen sah man kleine Tabletts, jedes mit einer Lampe. Das Grammophon, dessen Trichter aussah wie eine riesige Prunkwinde aus Messing, spielte scheppernd eine Melodie, in der Sibyl einen Gassenhauer jüngeren Datums erkannte. Sie erinnerte sich sogar noch an Teile des Textes. Wie ging das doch gleich: Hhmmm Hhmmm melancholy baby …
    Gleich neben dem Grammophon ragte eine alte Standuhr im neoklassizistschen Stil in die Höhe, die von gefährlich aussehenden Türmchen gekrönt war. Die Uhr zeigte an, dass es früher Nachmittag war, doch in dem Zimmer war es so dunkel, dass Sibyl nicht wusste, ob der Uhr zu trauen war.
    Dovie schlüpfte grinsend aus ihrem Mantel und erkundete mit forschen Augen die schummrigen Winkel und Ecken des Raumes, doch wonach sie suchte, wusste Sibyl nicht. Sie

Weitere Kostenlose Bücher