Die Frauen von der Beacon Street
Himbeeren. » So hübsch. «
Sie lagen eine Weile schweigend da und sahen sich an, reglos bis auf Dovies Finger, die mit der Kristallkugel spielten. In der Ferne, weit, weit weg, begann die Standuhr zu schlagen. Ein Teil von Sibyls Verstand fing aus Gewohnheit an, die Schläge mitzuzählen, doch sie hallten wider, überlappten sich, und Sibyl geriet durcheinander.
Das Licht blieb so schummrig, wie es war, eine Mischung aus Kerzenschein und Lampenlicht, weit weg vom Tag. Das Grammophon hatte ausgespielt, und sie hörte, wie jemand durch den Raum ging, es wieder aufzog, Schallplatten durchblätterte. Die Szene im Feuerschein verschwamm vor ihren Augen, und so schloss sie sie, schluckte eine Welle der Übelkeit hinunter, die sauer in ihrer Kehle aufstieg. Doch die Augen zu schließen half nicht – die Chaiselongue bewegte sich unter ihr, als würde sie auf einem Floß sanft von Meereswellen getragen.
» Sibyl « , flüsterte eine Stimme zu ihr. » Nickst du ein? «
» Hm. « Nur mit viel Willenskraft brachte sie diese Antwort zustande.
Die Chaiselongue wurde von einer vorübergehenden Welle zum Schaukeln gebracht, und Sibyl grub die Finger in den Samt, um nicht herunterzufallen.
» Kannst du die Augen öffnen? « , fragte die Stimme, Dovies Stimme, und ihr Atem war so nah, dass es ihr die flaumigen Härchen am Ohr aufstellte.
Abermals rollte eine Woge heran, hob die Chaiselongue an, ließ sie wieder fallen, und fast drehte es ihr den Magen um. Sie fürchtete herunterzugleiten. Panik stieg in ihr auf, sie schnappte nach Luft. Eine Hand ließ sich auf ihrer Wange nieder, und die süße Stimme sagte: » Zieh nicht so ein Gesicht. Alles ist gut so. Mach die Augen auf. «
Sibyl gehorchte.
» Da « , sagte das Mädchen lächelnd. » Es wird dir besser gehen, wenn du beim ersten Mal nicht einnickst. Iss eine Kleinigkeit. «
» Essen? « , wiederholte Sibyl ungläubig.
» Vertrau mir « , drängte Dovie und ließ ihre Hand träge von Sibyls Liege gleiten.
Sibyl beäugte den Kuchen voller Misstrauen. Sie biss eine Ecke ab, Zucker schmolz auf ihrer Zunge, und ihre Backenzähne klebten zusammen, als sie sich zwang, den Bissen hinunterzuschlucken. So. Sie hatte ein bisschen was davon gegessen.
» Alles « , beharrte Dovie. » Ich verspreche dir, es fühlt sich viel, viel besser an. «
Mit angewidert verzogenen Lippen zwang sich Sibyl dazu, den Kuchen aufzuessen, einen winzigen Bissen nach dem anderen.
Sibyl ließ sich auf ihre Liege zurücksinken und wartete darauf, dass das Schwanken zurückkehrte. Doch zu ihrer Überraschung musste sie feststellen, dass Dovie recht hatte – jetzt fühlte sie sich auf der Liege fest und sicher, und die Übelkeit war vorüber. Sie schloss die Augen, spürte, wie das Unwohlsein durch ein Gefühl der Wärme ersetzt wurde, das überall war und sich prickelnd von ihrem Schädel über den Hals, die Schultern, die Beine hinab bis in die Fußspitzen erstreckte. Sibyl breitete die Arme über dem Kopf aus, krümmte den Rücken wie eine Katze und genoss wohlig das Gefühl, das sie durchflutete.
» Hast du das hier … « Sibyl hielt inne. » Machst du das oft? «
» Hm? « , fragte Dovie. » Ach. Na ja. Du weißt schon. «
Sie zögerte.
» Manchmal. «
» Manchmal « , flüsterte Sibyl und schaute unter schweren Lidern hervor zu der Decke mit den dunklen Schnitzarbeiten. Ihr Blick glitt über die Schnörkel und Figuren, und sie ließ ihren Gedanken freien Lauf.
» Es ist nützlich « , sagte das Mädchen. » Für meine Kunst. «
Eine Weile hing das Wort zwischen ihnen in der Luft, während Sibyl es sich durch den Kopf gehen ließ. War das nicht etwas übertrieben? Andererseits hatte sie durch ihren Vortrag von Kublai Khan immerhin Zugang zu dem Salon erhalten. Sibyl war bereit, über die Bemerkung hinwegzugehen, so zu tun, als wäre sie unausgesprochen geblieben, als Dovie fortfuhr: » Ich bin Schauspielerin. «
Sibyl musste laut lachen, sie drückte ihre Hände an die Leibesmitte, zog die Knie an und wand sich auf dem Rücken. Sie lachte, so wie sie als kleines Mädchen gelacht hatte. Tränen liefen ihr über die Wangen, und das Lachen wurde schlimmer und schlimmer, bis es sich in einem Anfall von Schluckauf auflöste. Doch selbst das Lachen fühlte sich köstlich an, wie es durch ihren Körper ging, bis ihr die Augen tränten. Ihre Wangen schmerzten.
Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass von der gegenüberliegenden Chaiselongue tiefes Schweigen kam.
» Oh « , rief Sibyl
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