Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
der Erschaffung der Welt. Ich bin auch Arzt und glaube, mich auf die menschliche Natur zu verstehen.«
»Du hast mit Athene zusammen die Töchter des Danaos von ihrer Bluttat gereinigt«, seufzte meine Mutter unterwürfig. »Das Volk von Tanagra hast du von der Pest befreit. Vielleicht hast du für mein krankes Herz auch eine Arznei.«
So schniefte sie. Noch nie hatte ich meine strenge Mutter so demütig und hilfsbedürftig gesehen. Um Hermes’ Lippen spielte ein bedauerndes und zugleich spöttisches Lächeln.
»Mit der Pest bin ich leicht fertiggeworden«, sagte er überheblich, »es hat gereicht, einen geweihten Widder in der infizierten Stadt herumtragen zu lassen. Mit dir habe ich es schwerer, weil deine Infektion menschlichen Ursprungs ist und göttliche Folgen hat. Es ist offensichtlich, dass du krank bist!« Der üppige, edle Leib meiner Mutter erbebte bei diesen strengen Worten. »Du leidest an dem Wahn, die Menschen verzaubern zu wollen, weil du dich für deinen untreuen Liebhaber rächen willst! Kirke«, sagte der strahlende Gott, und seine Worte tönten ernst, »was hast du mit Glaukos angestellt? Wo ist die kleine Skylla?«
»Sie haben bekommen, was sie verdient haben«, sagte meine Mutter kalt.
»Ich habe den Befehl«, erklärte der Gott trocken, »herauszubekommen, wohin sie heimlich verschwunden sind. Glaukos war schließlich ein König. Zugleich hat er mit Hafer und Mädchen gehandelt, aber selbst wenn er noch so ein jämmerlicher Betrüger war, stand er doch unter göttlichem Schutz. Antworte!«
»Ihr Schicksal hat sich erfüllt. Ihre Namen will ich nicht mehr hören. Frage nicht nach dem Schicksal des lüsternen Krämers und seiner liederlichen Verwandten, göttlicher Herold! Es gab eine Zeit«, sagte meine Mutter hart, »in der auch dieser Mensch log und mir schmeichelte, er könne nicht ohne mich leben. Wie Ulysses … Wie andere, Götter und Menschen.« Die Worte meiner Mutter peitschten jetzt, und ihre Augen glänzten. »Auch er hat mein großes, aber leichtgläubiges Herz verwundet …«
»Entschuldige bitte«, sagte Hermes nervös, »ich habe ja alle Achtung vor deinem großen Herzen! Aber wenn du jede dahingeflüsterte Liebeserklärung für ein Eheversprechen hältst …«
»Ich bin einsam geblieben«, sagte meine Mutter trotzig. »Einmal habe ich sogar Glaukos verziehen. Ich habe mich bemüht zu begreifen, dass es in seinem Herzen keine Treue gibt, keine Treue geben kann, weil er ein Mensch ist. Aber ich hatte es nicht nötig, die unendliche Zeit im Witwenstand zu verbringen. Unter meinen Freiern waren vornehme Männer. Keine solchen Krämerkönige verwanzter Uferstädte wie Glaukos und Picus, sondern richtige Fürsten. Du, der du mit leisen Schritten vielerorts in der Welt unterwegs bist … Es heißt, du habest nicht ohne Grund die Sandalen erfunden, mit denen man lautlos gehen kann, denn so hast du dich zusammen mit Autolykos in die Nähe der Herden und Stuten gestohlen, um deine göttlichen und niederen Neigungen zu befriedigen …, sag, hast du denn nie davon gehört, dass in einem fernen Land, im nördlichen Apulien, am Fuße des Berges Garganos ein Land liegt, das Daunia heißt?«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Hermes erstaunt. »Daunia? Natürlich war ich auch dort. Es wird von einem mutigen, kämpferischen und religiösen Volk bewohnt. Die Menschen dort achten mich und schwätzen nicht von lautlosen Sandalen und Rinderdiebstählen, wenn sie andächtig meinen Namen erwähnen! Ihr König ist ein charakterfester, tüchtiger Mann, dessen Name mir jetzt nicht einfällt …«
»Dir fällt Kalchos’ Name nicht ein?«, fragte meine Mutter erregt.
»Kalchos!« Der alte Herr erinnerte sich plötzlich wieder und schlug sich an die Stirn. »Ja, klar. Du kennst ihn?«
»Er hat um meine Hand angehalten«, sagte meine Mutter würdevoll. »Auch er hat mir die Ehe versprochen, wie dieser Glaukos. Wie Ulysses. Wie du, irgendwann!« Bei diesen gezischten Worten meiner hehren Mutter senkte Hermes den Kopf auf die Brust. Von meinem Versteck aus stellte ich zufrieden und erstaunt fest, dass auch die Götter sich schämen, wenn sie an ihre unbedachten Versprechen erinnert werden. »Er hat um meine Hand angehalten, aber ich glaubte damals mit leichtfertigem Herzen, mit Ulysses verlobt zu sein. Ich wies meinen edlen Freier ab … Als er zudringlich wurde und nicht lockerließ, habe ich ihn verzaubert. Was hätte ich sonst tun können?«, fragte sie verächtlich. »Das ist immer die
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