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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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einfachste und beste Methode, sich von einem zudringlichen Freier zu befreien. Ja, wegen Ulysses habe ich den männlichen und für mich schwärmenden Kalchos, den daunischen König, abgewiesen. Mein Herz war blind, ich sah nicht klar. Ich sage das nur deshalb, damit du nicht denkst, ich hätte unter den Menschen keinen Freier gehabt, der mir treu war. Ich müsste nicht einsam leben. Später kam das daunische Volk mit Kriegsschiffen, um seinen unglücklichen, verliebten König abzuholen. Sie haben auf meiner Insel eine amphibische Landung durchgeführt. Meine Silene und Satyrn haben heldenhaft gekämpft, doch die Daunier sind ein kampferprobtes, streitsüchtiges Volk. Schließlich fassten sie auf den Felsen unserer Bucht Fuß. Ich erfuhr, dass dieses Volk seinen König, den hehren Kalchos, heiß und innig liebt. Nach langen Verhandlungen ließ ich meinen Freier aus dem Stall, wo er mit Kummer im Herzen, aber noch immer voller Schwärmerei für meine Person die Eicheln krachen ließ. Ich gab ihm die menschliche Gestalt zurück. Die Daunier zogen mit ihrem König, meinem abgewiesenen Freier, ab. Auf meine Bitte schwor er vorher, dass er mich in Zukunft in Frieden lassen würde. Er war ein Mann, er hat seinen Schwur gehalten«, sagte meine strahlende Mutter enttäuscht und verzog den Mund. »Ich bin hiergeblieben, ohne Freier. Und Ulysses ging eines Tages weg! Jetzt weißt du alles …«
    Meine Mutter schwieg mit verschränkten Armen.
    Hermes schnarchte lufthungrig auf, wie es die genusssüchtigen, dick gewordenen, älteren Götter zu tun pflegen. Er beobachtete meine Mutter und zwinkerte schlau.
    »Er ist gegangen«, sagte er vorsichtig, »weil seine Heimat ihn gerufen hat. Er ist nach Ithaka heimgekehrt. Du musst verstehen, dass für das Geschlecht der Menschen die Heimat eine stärkere Bindung bedeutet als der Zauber des Abenteuers.«
    »Lass das Predigen!«, sagte meine Mutter nervös. »Er ist heimgekehrt, hat gemetzelt und den Helden gespielt, als hätte er Zeus weiß was für ein Recht darauf! Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er bei seiner alten Frau am Rockzipfel geblieben ist?«
    »In letzter Zeit«, sagte Hermes ausweichend, »habe ich nichts von unserem Freund gehört.«
    »Ich dafür umso mehr!«, rief meine Mutter wütend und leidenschaftlich. »Er ist nach Ithaka heimgekehrt, sagst du! Das klingt wie der brave Abschluss einer gewöhnlichen menschlichen Geschichte. Der Held kehrt heim in die Arme der treuen Gattin, und sie betrachten gemeinsam den aufsteigenden Rauch des heimischen Herdes, bis die Stunde kommt, in der sie in den Hades gehen müssen? Das willst du sagen? Du bist lächerlich, göttlicher Dieb! Habt ihr tatsächlich geglaubt, du und deine alte Verwandte, die erhabene, aber gefährlich kurzsichtige Pallas Athene, dass ihr Ulysses für alle Zeiten in trockene Tücher gepackt habt, als er auf dem Schiff der Phaiaken nach Ithaka heimgekehrt ist mit seinen geraubten Schätzen und seinen Lügen und Erinnerungen an zwielichtige Abenteuer? Ich muss meinen untreuen Liebhaber in Schutz nehmen! Ich schütze ihn, indem ich sein Andenken mit neuen Beschuldigungen kröne. Aber diese Vorwürfe passen besser zu seinem Wesen als das gnädige und sanfte Ende, das die Götter für ihn geplant haben. Er ist von anderer Art!«, sagte meine Mutter traurig mit zorniger Begeisterung. »Er zieht keine Pantoffeln an, er kann nicht zu Hause bleiben.«
    »Wo ist er jetzt?«, fragte Hermes neugierig.
    »In diesem Augenblick?« Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Man kann nie wissen, wo er sich gerade aufhält. Jetzt, wo er älter wird, ist die Wandersucht mit krankhaftem Zwang über ihn hereingebrochen.« Meine Mutter beugte sich vor und fuhr flüsternd fort: »Ich war nicht untätig, von Zeit zu Zeit bin ich aufgebrochen und ihm nachgegangen. Er streift hierhin und dorthin auf den Inseln und auf dem Festland. Es ist schwer, ihm auf die Spur zu kommen. Außerdem beschäftigt er sich mit undurchsichtigen Geschäften, weil mit den Sorgen des Alters auch die Sorge um den Lebensunterhalt über ihn hereingebrochen ist. König war er und ein Held. Jetzt jedoch benimmt er sich wie ein linkischer Krämer und alternder Abenteurer. Als er heimgekehrt war« – meine Mutter seufzte –, »schien es in der ersten Zeit, als würde er sich anständig benehmen. Er hat den Nymphen geopfert, das tat uns allen gut. Nach dem Ratschlag des Teiresias brachte er auch den Toten Opfer, wie ich es ihn gelehrt habe. Dann ging er nach

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