Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Ich wusste – was er nicht wusste –, dass Amphinomos’ Verletzung nicht tödlich gewesen war; es war ihm gelungen, verkleidet von der Insel aufs Festland zu kommen, und jetzt wartete er in der Nähe von Mantinea, in Elis, auf Nachrichten von mir. Ich hoffte, dass die Quelle, die in Simiades in der Nähe unseres Gutes aus der Erde aufbricht, meinen verwundeten Freund mit ihrem schwefligen, heißen Wasser und betäubenden Dampf wieder gesund machen würde. Diese Quelle stand schon zu Cheirons Zeiten in dem Ruf, den arkadischen heilenden Dämonen als Wohnstatt zu dienen. Der berühmte Internist Asklepios, der meinen göttlichen Großschwiegervater Arkeisios wegen eines Leberleidens behandelt hatte, schickte seine vermögenderen Patienten hierher. In der Nähe des Bades, am Ufer des windungsreichen Flüsschens Inachos, errichteten die Kranken Dionysos und Aphrodite aus Dankbarkeit ein Heiligtum. Ich hoffte, dass mein unglücklicher Freund hier von den um meinetwillen erhaltenen und erlittenen Wunden genesen würde, und protestierte mit keinem Wort, als mein hehrer Mann mich nach Mantinea verbannte. Denn Medon, der Flinke, war in der Zwischenzeit ebenfalls nicht untätig gewesen und hatte mir gemeldet, dass Amphinomos in Elis auf Nachricht von mir wartete. Nun konnte ich ihm diese Nachricht sogar persönlich überbringen. Dies erfüllte mich bei aller Sorge und Traurigkeit mit bitterer Freude.
Aber auch sonst hatte ich Ruhe und Erholung dringend nötig. Mein Zustand, die lang ersehnte und dennoch überraschende Heimkehr meines Mannes, die Aufregung des Wiedersehens, dessen freudigen und schrecklichen Folgen: All das hatte in meinem Organismus kleinere Leberprobleme ausgelöst. Als ich abreiste, hatten mein Körper, meine Arme, sogar das Weiße in meinen Augen eine so elfenbeinerne Farbe wie der Kallos, mit dem mich Pallas Athene eingerieben hatte, damit ich schön sei, wenn mein Mann heimkehrt … Eurykleia schluchzte beim Abschied heftig.
»Du bist gelb, Herrin«, schniefte sie. »Das ist die Leber. Wenn ich das gewusst hätte!«
Das naive Geschöpf hatte tatsächlich ausgesprochen, was – im Augenblick des Abschieds, aber auch schon vorher, seit Wochen – mein ganzes Hausvolk dachte und auch ich selbst erwogen hatte. Sie sprach aus, dass es unter dem Aspekt der menschlichen und göttlichen Ordnung besser gewesen wäre, wenn mein hehrer Mann Ulysses überhaupt nicht nach Hause kommen wäre. Mit einer raschen Bewegung presste ich ihr die Hand auf den Mund.
»Schweig«, flüsterte ich ihr ins halb taube Ohr. »Warte! Bevor der Sommer zu Ende ist, bin ich wieder da!«
»Alle versprechen sie das«, schluchzte sie, »die dieses Haus verlassen. Und am Ende muss ich mich allein um alles kümmern.«
Da war etwas dran! Jetzt, nachdem der Lichtbringer unsere besten Dienerinnen hatte töten lassen, befürchtete Eurykleia zu Recht, dass alle Sorgen des Haushalts auf ihren Schultern lasten würden.
»Pass auf«, flüsterte ich ihr zu, »und wenn er sich eine Geliebte nimmt, schick mir sofort eine Nachricht! Telemachos soll mich so schnell wie möglich besuchen. Gib ihm eine Verkleidung mit!«
»Ich weiß, ich weiß!«, wimmerte sie.
»Medon soll sofort nach Elis gehen!«, flüsterte ich. »Er soll Amphinomos sagen …«
»Schweig!«, hauchte sie. »Ich weiß alles. Geh in Frieden, meine Tochter.«
Eurykleia wusste tatsächlich alles. Sie kannte die Geheimnisse und Bräuche unseres Hauses. Ich wusste, dass sie die Einzige war, der ich die Botschaft an Amphinomos anvertrauen konnte. Mein Sohn Telemachos mied seit der Heimkehr meines hehren Mannes auffällig unser Haus. Ständig war er auf der Jagd, als wollte er der Begegnung mit seinem hehren Vater ausweichen. Er hatte einen Grund dafür, aber den kannten nur wenige. Als Ulysses aus Delphi heimgekommen war – kurz bevor er vor dieses verdammte Troja zog –, brachte er eine Prophezeiung mit, die ihm gebot, er solle sich vor seinen legitimen und illegitimen Söhnen hüten, da diese ihm nach dem Leben trachteten. Diese Prophezeiung trieb ihm immer das Blut in den Kopf, wenn er einen seiner Söhne wiedersah. Aber ich will den Ereignissen nicht vorgreifen.
Ich reiste in Gesellschaft meines Arztes und meines Schreibers, wie es damals bei Frauen aus vornehmerer Gesellschaft üblich war. Mein Arzt war ein kahles, älteres Männchen, der die Seereise nicht vertrug und dem während der Überfahrt ständig schlecht war. Ich pflegte ihn. Wenn er zwischen zwei Anfällen zu sich
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