Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
überhäuft werde. Diese freche Vertraulichkeit empörte mich. Aber auch sonst hasste ich Eurymachos, denn er war derjenige von den Freiern, der sich doppelzüngig in die Gesellschaft meines Sohnes Telemachos geschlichen hatte. Über meinen Kopf und den meines abwesenden Mannes hinweg hatte er mit meinem Sohn eine Art Komplizenschaft geschlossen, und der Himmel weiß, welche Pläne sie im Geheimen spannen. Mein Verdacht war nicht unbegründet. Es war jedoch besser, darüber zu schweigen. Jetzt, im Schiff, während der wiegenden und dröhnenden Überfahrt, als ich mich von allem entfernte, was zu meinem bisherigen Leben gehört hatte, sah ich alle schärfer, auch meinen Sohn. Und es war, als würde ich erst jetzt verstehen, welch finstere Geheimnisse in einem menschlichen Herzen, in einer Familie Wurzeln schlagen können. Ich begriff, dass Telemachos seinen herumtreiberischen Vater immer gehasst hatte – gehasst und gefürchtet … Ja, Ulysses war heimgekommen, und sein heldenhaftes, göttliches Wesen hatte auch meinen Sohn betört. Er gehorchte dem Heimkehrer blind und erschrocken. Ich freute mich, dass nicht mein Mann die scharfe Lanze in Amphinomos’ Rücken gestoßen hatte, denn es wäre widerwärtig und peinlich gewesen, wenn die beiden Männer, die meinem Herzem irgendwie nahestanden, einander Schaden zugefügt hätten. Ich freute mich, dass Ulysses den arroganten Eurymachos getötet hatte. Und ich bedauerte, dass Telemachos seinen Vater hasste und in der Tiefe seines Herzens – unbewusst – Böses gegen ihn plante …
Mein Herz hatte gebebt bei dem Gedanken, dass ich nach Mantinea fahren sollte, in die Verbannung, dass alles plötzlich so schrecklich und sonderbar verzerrt in meinem Leben war. Jetzt bebte mir das Herz bei dem Gedanken daran, dass ich Amphinomos wiedersehen sollte. Und zugleich krampfte es sich zusammen vor Sehnsucht, Wut und Traurigkeit, weil ich wieder fern war von meinem bösen und zugleich großartigen Mann, der nach Hause gekommen war, mich in die Arme geschlossen und dann mit einer plumpen Lüge wieder von sich weggestoßen hatte, um sich allein in neue Abenteuer stürzen zu können. Von diesen vielen widersprüchlichen Empfindungen floss mir das Herz über. Es dämmerte, und die Lichter von Patras leuchteten schon vom Ufer her. Als unser Schiff in den Hafen fuhr, hatte ich das Gefühl, es gebe keine unglücklichere Frau auf dem Festland und auf den Inseln als mich, die Königin von Ithaka, Ulysses’ immer wieder umarmte und immer wieder verstoßene Frau, das lebendige Denkmal der Treue, die Märtyrin des Undanks – mich, die arme, arme Penelope.
Vom Ufer her leuchtete mir durch den Nebel eine rauchende Schiffslampe entgegen, und eine vertraute, tiefe Stimme rief meinen Namen:
»Penelope!«
XII
Ich tauchte aus meinen Gedanken auf und ging mit meinem Gefolge an Land, wo mich Amphinomos erwartete. Mit verbundenem Arm, auf einen Stock gestützt, hatte er seit dem Morgen am Ufer gestanden und nach unserem Schiff Ausschau gehalten. Medon und Eurykleia hatten ihren Auftrag zuverlässig und flink ausgeführt.
Er verfügte, dass mein Gefolge in einem Kloster am Ufer untergebracht werden soll, wo Mönche aus Doulichion unter der Schirmherrschaft des Dionysos eine Art Gasthaus für diejenigen eingerichtet hatten, die vom Meer her kamen. Für mich und meine beiden Dienerinnen hatte er ein Appartement im Kloster der Priesterinnen der Aphrodite öffnen lassen.
»Dieses Kloster hat einen guten Ruf«, sagte er. »Hier wirst du eine Unterbringung finden, die deinem Rang und Namen gerecht wird. Du hast jetzt Gelegenheit, dich zu erfrischen! Nach dem Abendessen erwarte ich dich im Gemeinschaftsraum des Klosters.«
Seine feinfühlige Sorge tat mir wohl. Infolge meiner spartanischen Erziehung und meiner schamhaften Natur hatte ich die Klosterumgebung immer gemocht. In Sparta achteten die Mädchen aus gutem Hause darauf, sich in Kirchen und Klöstern mit ihren Verehrern zu treffen. Die Priesterinnen der Aphrodite nahmen mich höflich und freundlich auf und führten mich in die mir zugedachten Räume. Das Fenster meines Schlafgemachs ging auch hier aufs Meer hinaus. Die westlichen Sterne des Himmels leuchteten über dem Fenster. Während mir meine Dienerinnen eilig ein Bad bereiteten, trat ich ans Fenster und versuchte zu erraten, welcher Stern über Ithaka leuchtete. Ich dachte an Ulysses und seufzte. Mir war das Herz schwer. Dann zog ich mich rasch aus, badete und kleidete mich an, denn
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