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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Sagengestalt …«
    »Das sind die Helden«, sagte ich. »Ich glaube, Ulysses ist auch so ein Mensch.«
    »Unser hehrer Herr«, sagte der Dichter und sah zur Erde, »ist ein Grenzfall. Gewiss lebt in ihm die Zauberkraft der Helden. Was er berührt, trägt sein Zeichen, und der Mensch, den er hasst oder liebt, bekommt sofort eine Rolle in einer Handlung, die keine alltägliche mehr ist. Zu den Gräbern solcher Menschen pilgern später viele, weil sie glauben, dem Grabhügel, der ihre Leichname bedeckt, entströme heilende Kraft.«
    Und als scheue er sich, einer Uneingeweihten die Geheimnisse seiner Kunst zu verraten, murmelte er verlegen noch einige Sätze und trollte sich. Lange sah ich ihm nach. Auch ich selbst glaubte, dass mein Mann eine der Persönlichkeiten ist, die über eine nicht mehr ganz menschliche und noch nicht ganz göttliche Kraft verfügen und ihre Umgebung zu Sagengestalten umformen können. Dieses Bewusstsein erfüllte mich mit einer gewissen angenehmen Nicht-Verantwortlichkeit. Ich fand mich damit ab, dass fortan nicht mehr ich mein Schicksal beeinflussen würde, sondern ein Zwischenwesen zwischen Göttern und Menschen: der Lichtbringer und Held – mein unverständlicher und großartiger Mann.
    Das Kind nahm bei strahlendem Sonnenlicht gut zu und entwickelte sich zu einem rundlichen, pummeligen Dreikäsehoch. Im kephallenischen Dialekt stammelte er seine ersten Worte, und manchmal glaubte ich schon, in seinem Gesicht verschwommen die Züge meines herrlichen Mannes zu erkennen. Aber dieser Junge ähnelte ihm nur sehr entfernt. Ich erinnerte mich und errötete manchmal. Mir kam in den Sinn, dass mein Mann nicht mit ganzem Herzen bei der Sache war, als wir dieses Kind zeugten. In dieser Zeit war er mit seinen Gedanken schon ständig woanders gewesen, nicht so wie zu Beginn unserer Ehe, als Telemachos geboren wurde.
    So vergingen zwei Jahre. Mantinea wandelte sich für mich langsam zu einer Art unwirtlicher Heimat, die Ithaka nicht ersetzte, aber in der Atmosphäre der Verbannung war es letztlich gleichgültig, wo ich auf meinen Mann wartete. Es ist eine gemeinsame, übereinstimmende Erfahrung aller Verbannten, dass ihr Leben nicht von der neuen Umgebung geprägt wird, sondern von ihren Erinnerungen. Je länger mein Warten sich hinzog, desto stärker spürte ich, dass eigentlich nicht mehr ich lebte, sondern die Rolle, die mein Mann für mich vorgesehen hatte.
    Im zweiten Herbst – Ptolipathos konnte schon laufen – stellte sich eines glutglänzenden Morgens zur Zeit der Weinlese wieder Eumaios in Mantinea ein. Seit Monaten hatte ich ihn nicht gesehen. Jetzt kam er mit leeren Händen und einer wichtigen Nachricht.
    »Herrin«, sagte er und fiel mir zu Füßen, »der Herr schickt dir eine Nachricht.«
    Diese Mitteilung schreckte mich nicht besonders auf. Ich schloss die Augen und horchte in mich hinein, zu den inneren Höhlen meines Bewusstseins, wo die Schatten der Erinnerungen leben. Das große Gesetz der Veränderung hatte sich auch an mir erfüllt. In diesen und den späteren Jahren wartete ich nicht mehr so auf den Lichtbringer wie früher, als ich noch in einem Taumel lebte und mich der betörende, strahlende Glanz seiner Persönlichkeit blendete; in diesen Jahren hatte ich einen Mann erwartet, der heimkommen und Ordnung schaffen würde. Dies war die Zeit der Jugend und der Enttäuschung. Aber dann war die Zeit in ihrem Wagen mit den Flügelrädern auch über mir hingegangen, und ich hatte die Wirklichkeit kennengelernt. Ich wusste, dass der Mann, auf den ich wartete, nicht Ordnung, sondern Unordnung schuf. Deshalb fragte ich nüchtern:
    »Wo ist er jetzt?«
    »In Thesprotien«, begann der Alte und holte tief Luft, als bereite er sich auf einen langen, aufregenden Vortrag vor. Mit einer Handbewegung bedeutete ich ihm, dass mich die Einzelheiten nicht interessierten.
    »Also auf dem Festland«, sagte ich von oben herab, als würde ich die Geheimnisse des in der Ferne Weilenden kennen. »Will er etwas von mir?«
    »Er hat um Salz gebeten«, sagte der Alte einfältig. »Männer kamen mit einem tiefen Schiff und überbrachten den Befehl unseres Herrn. Um Salz hat er gebeten, um mehrere Säcke.«
    Diese Nachricht überraschte mich. Ich hatte nicht geglaubt, dass er sein Wort halten und sich fernab von Ithaka mit Monopolgeschäften befassen würde. Freilich war mir schon nach seiner Heimkehr aufgefallen, dass er zwischenzeitlich sonderbar materialistisch geworden war.
    »Also gebt ihm Salz aus

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