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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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unserem Lager«, sagte ich großzügig.
    »Er hat noch eine andere Nachricht geschickt«, sagte der Schweinehirt und seufzte. »Herrin, dein Schicksal ist schwer.« Mit einem schlauen, hinterhältigen Blinzeln sah er mich aus klebrigen Augen von unten her an.
    »Er möchte, dass ich Ordnung schaffe, nicht wahr?«, sagte ich schadenfroh.
    »Möchte er das?«, fragte Eumaios naiv. »Ich weiß nicht.«
    »Was weißt du dann?«, fragte ich nervös.
    »Er befiehlt, dass du sofort heimkehren sollst«, flüsterte er demütig.
    Dieser Dienerton regte mich auf. Aber noch viel mehr überraschte mich das Gefühl, das auf diesen Befehl hin aus meinem zerrissenen Herzen strömte. Statt Protest und gekränktem Stolz empfand ich Genugtuung und Erleichterung.
    »Ich verstehe«, sagte ich kühl.
    Der Schweinehirt sah mich mit erschrockenem, verständnislosem Blinzeln an. Ich richtete mich hoch auf, selbstbewusst und befreit. Nach langer Zeit fühlte ich mich wieder einmal als Frau.
    xiv
    Dies war der letzte Befehl, den ich von ihm bekam. Aber ich sah ihn erst an dem Tag wieder, an dem er noch einmal heimkehrte, um das letzte Versprechen zu halten, das er mir gegeben hatte, und in meinen Armen zu sterben. Im Grunde war dies das einzige Versprechen, das er hielt.
    Ich weiß, über die folgenden Jahre und seine zweite, letzte Heimkehr kursieren in der Welt abenteuerliche und unsinnige Geschichten. Das kann auch nicht anders sein. Die Persönlichkeit meines Mannes, die Prophezeiungen und die menschliche Phantasie webten die Sage, deren Sinn letztlich immer derselbe ist: Der Lichtbringer hat sein Wort gehalten und ist nach Ithaka heimgekehrt. Wieso er heimkehrte, und wie er starb? Das ist die Frage, über die, wie ich höre, jene neuzeitlichen Sklaven in der letzten Zeit viel diskutiert haben, die heutzutage die Geschichten schreiben. Mir kam zu Ohren, in Kyrene habe ein Gelegenheitsdichter aus den wirren Erzählungen eine Sage zusammengeflickt. Es heißt, diese Dichtung sei dürftig. Das Versmaß, der Reichtum der Attribute und der Schwung des Vortrags bleibe hinter dem inhaltlich lückenhaften, aber unter dem Gesichtspunkt der Melodiösität ausgezeichnet klingenden Werk unseres blinden Hausdichters zurück. Es bleibe sogar hinter den Gelegenheitsdichtungen unserer zweitrangigen Hausschreiber Phemios und Theoklymenos zurück, die einzelne Ereignisse unseres Hauses und unserer Familie verewigt haben. Wir in Ithaka achteten zu Lebzeiten meines Mannes immer darauf, dass der Sänger, den wir in unserem Haus aufnahmen und speisten, in möglichst natürlichem Ton und Versmaß sang. Dieser Mann aus Kyrene hat – kurze Zeit, nur einige Jahrhunderte später, als sich die Geschichte von der zweiten Heimkehr des Lichtbringers und seinem Tod noch nicht gesetzt hatte –, wie ich höre, ein Flickschusterwerk vollbracht. Es ist durchaus denkbar, dass in kommenden Zeiten – die es in Wirklichkeit und für mich nicht gibt, aber mit denen die Menschen in ihrer Hilflosigkeit immer rechnen – noch einmal Sklaven kommen werden, die sich in metrischen Versen oder freier Rede wieder der Geschichte des Lichtbringers zuwenden und sie auf ihre eigene, oberflächliche Weise wieder und wieder erzählen. Von solchen Versuchen kann ich schon lange vorher sagen, dass sie unvollkommen sein werden. Die Sklaven, die die Geschichten nicht selbst erleben, sondern nur aufschreiben, kennen die Wahrheit nicht. Nur ich weiß die Wahrheit, die ich die Geschichte erlebt habe – ich und die göttliche Kirke, meine Schwiegermutter und Schwiegertochter.
    Ich glaube, es wird am besten sein, wenn ich von den letzten Ereignissen nur das Nötigste erzähle. Meine Familie und das Angedenken des Lichtbringers verpflichten mich dazu. Ja, er kehrte noch einmal heim. Was er wollte? Telemachos sagte, er sei wiedergekommen, um zu töten. So wie alle alten Menschen, bestand auch Ulysses damals darauf, an festen Gewohnheiten, traditionellen Erklärungen festzuhalten … Sicher ist, dass die Art und die Umstände seiner zweiten Heimkehr für diese Annahme sprechen. Wieder kam er unerwartet und verkleidet. Wieder näherte er sich den Ufern Ithakas in Gestalt eines greisen Bettlers. Er war schon alt, neue Ideen führten seine Phantasie nicht in Versuchung, er wiederholte sich. Wieder wollte er Rache wegen der Sünden, Fehler und menschlichen Schwächen, die er selbst begangen hatte, in der Ferne. Ja, vielleicht hatte Telemachos recht: Er wollte wieder töten.
    Aber Freier fand er bei dieser

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