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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Gelegenheit nicht mehr auf der Insel. Nicht etwa deshalb, weil mich der gierige Dämon der Zeit restlos der Schätze meiner Schönheit beraubt hätte. So bin ich nämlich nicht – egal, was der Lichtbringer von gewissen Frauen aus Sparta erzählte, deren Mütter nicht Waldnymphen waren, sondern Göttinnen! Meine Figur hatte sich nicht verändert, meine Augen strahlten auch in diesem Halbwitwenzustand. Freier hätte ich haben können, und ich hatte gehört, dass Amphinomos, der nach unserer schmerzhaften Abrechnung schließlich geheiratet hatte, sich immer noch nach mir verzehrte. Amphinomos! Die Götter hatten nicht zugelassen, dass ich meinen Lebensfaden an einen nüchternen, ehrlichen Menschen band. Vielmehr sollte ich schon während meines irdischen Daseins im Raum der Sage leben. Das ist ein hartes Los, aber ich darf nicht klagen. Wenn die Götter jemandem ein besonderes Schicksal geben, muss er dafür bezahlen. Noblesse oblige.
    Ja, er kam heim, verkleidet, um seine Söhne zu töten. Offenbar war das in den letzten Jahren bei ihm zur fixen Idee geworden. Er war heimgekehrt, um Telemachos umzubringen, der sein Schicksal geahnt hatte und einige Jahre lang ständig unterwegs gewesen war, immer auf der Suche nach Nachrichten von dem Fernen. Eines Tages kam Telemachos mit Euryalos zurück nach Hause, dem stotternden Sohn der Euippe, der nicht lange nach der Ermordung der Freier auf dem Festland dem umhertreibenden Lichtbringer geboren worden war. Von diesem Sohn hatte ich zuvor noch nicht einmal gehört. Ein blasser und unruhiger junger Mann war er, und als er sich an Telemachos’ Seite nach Ithaka schlich, lebte er verstohlen und mürrisch hier auf unserer Insel. Später hörte ich, dass Telemachos und er sich die Köpfe im Geheimen über sonderbare Pläne zerbrachen. Bei allen Varianten dieser Pläne blieben Ziel und Absicht immer dieselben: Die Jungen suchten nach einer Möglichkeit, wie sie sich von dem Lichtbringer befreien konnten, der sich auch aus der Ferne mit drohendem Schatten über ihr Leben beugte. Leider verbergen sich auch in den besten Familien solche Geheimnisse. In Argos hörte ich oft von familiären Blutbündnissen. Die Menschen sind geheimnisvoll. Manchmal bin ich froh, dass ich nicht mehr bei ihnen leben muss, sondern in die Sphäre der Unsterblichen umziehen durfte. Dieses übermenschliche Leben ist zwar etwas langweilig und eintönig, das stimmt schon. Mensch zu sein ist unterhaltsamer und gefährlicher, als Gott zu sein. Aber ich will nicht philosophieren.
    Von seinem Ende will ich noch sprechen. Ich erzähle es kurz, weil das Ende überraschend schnell kam; so unerwartet und schrecklich wie die Stürme, die manchmal mitten im Sommer im weinfarbenen Ionischen Meer entstehen, wenn sich aus dem glatten, friedlich scheinenden Wasser plötzlich ein schrecklicher Trichter zum Himmel erhebt; dieses galoppierende, Gestalt gewordene, zum Himmel ragende Meeresungeheuer fegt alles und alle weg, die ihm in den Weg kommen. So tauchte auch er in unserem Leben auf, zum zweiten und letzten Mal.
    Auf der Insel lebten damals schon mehrere seiner Söhne. Außer Telemachos und Ptolipathos, also seinen gesetzlichen Nachkommen, aß an unserem Tisch Euryalos, von dem ich schon gesprochen habe. Oft war Teledapos bei uns zu Gast, der Sohn der kahlen, perückentragenden Nymphe Kalypso. Er behauptete, auch er sei ein Kind meines Mannes, aber seinen Beteuerungen misstrauten wir alle, denn wir konnten an dem Jungen keinen einzigen Gesichts- oder Charakterzug meines Mannes entdecken. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die betagte Frau diesen Jungen in einem Alter zur Welt brachte, in dem auch die ausgebeutete Liebeskraft meines Mannes dem Neugeborenen keine Gefälligkeit und Lebendigkeit mehr verleihen konnte. Öfter kam auch Polypoites auf die Insel, einer der hastig gezeugten Abkömmlinge meines Mannes, der Thesprotier, der damit angab, dass seine Mutter Königin irgendeines abgelegenen Landes sei und Kallidike heiße. Aber um diesen Jungen kümmerte sich niemand. Eines Tages kam aus dem Land, in dem mein Mann mit Salzgeschäften befasst war, ein ausgemergelter Junge auf unsere Insel. Er stellte sich als Dorykles vor und versicherte, auch er sei der Sohn des Lichtbringers: ein jüngerer Bruder von Euryalos. Diesen Jungen konnte ich besonders wenig leiden, obwohl er sogar ein Erkennungszeichen von seiner Mutter Euippe mitgebracht hatte; ich beschloss, dem Lichtbringer gleich nach seiner Ankunft zu sagen,

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