Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Zimmer verlassen hatten. Es war angenehm warm. Im goldblauen Halbdunkel, in der Wärme des nach Zedernholz duftenden Feuers und vielleicht auch durch die angenehme Wirkung der edlen Speisen und Getränke durchlief meinen ganzen Körper eine kribbelnde Hitze. Ich spürte, wie mein Gesicht glühte, und obwohl ich wenig getrunken hatte, fühlte ich mich etwas berauscht. Kalypso sah mich mit freundlichem, nachsichtigem Blick prüfend an und lächelte.
VIII
»Ich sehe«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme, die wie eine dunkle Saite klang, etwas männlich, wie in ihrer ganzen Erscheinung etwas mütterlich Üppiges und zugleich väterlich Erhabenes lag, »ich sehe, du bist verlegen. Das ist kein Wunder, es beweist nur, dass du noch jung bist und dein Herz empfänglich … Denn neue Eindrücke verunsichern dich erst einmal. Dein Vater, der Held und Mann, war vom ersten Augenblick, in dem er mein Haus betrat, unvoreingenommen und unerbittlich. Wir alle fürchteten uns vor ihm und bewunderten ihn zugleich. Aber die Natur der Nereiden verstand auch er lange nicht.«
»Niemand kann diese sonderbaren Wesen verstehen«, erwiderte ich höflich, »niemand, der sie zum ersten Mal sieht.«
»Der Lichtbringer sah die Nereiden in meinem Haus nicht zum ersten Mal«, sagte die Nymphe belehrend. »Als Achilleus starb, war Ulysses in seiner Nähe und sah Thetis, die trauernde Mutter, vor den Mauern Trojas. Auch sie war eine Nereide, so wie ihre Dienerinnen. Die Trauernden sangen zusammen ein Lied …«
»Davon habe ich gehört!«, rief ich unwillkürlich lebhaft. »Nestor erzählte, dass die Achäer, als sie die trauernde Thetis und die Nereiden erblickten, vor Angst zu heulen begannen. Er hat die zitternden Griechen getröstet …«
»Du kennst den alten Trunkenbold?«, fragte Kalypso geringschätzig. »Dein Vater hatte keine hohe Meinung von ihm. Als Achilleus Tenedos besetzte, bekam auch Nestor ein Geschenk: eine Frau namens Hekademe. Er prahlte, er könne seine Manneskraft noch gebrauchen, obwohl er schon über neunzig war …«
»Im Kriegszug hat er neunzig Schiffe geführt«, warf ich in versöhnendem Ton ein, weil es mich schmerzte, dass von meinem alten Freund in diesem Ton gesprochen wurde.
»Vor Ilion hat er jedoch nicht gekämpft, sondern lediglich Ratschläge erteilt«, sagte die Nymphe verächtlich. »Im Zelt hat er Waffen um sein Bett herumstellen lassen, um vor seinen Sklavinnen den Helden zu markieren. Ich weiß das von deinem Vater. Aber lassen wir Nestor. Wir haben von den Nereiden gesprochen. Ich will, dass du dich bei mir wie zu Hause fühlst und, soweit bei einem Sterblichen möglich, die vielen Eigentümlichkeiten verstehst, die dich hier umgeben. Übrigens habe ich dich erwartet …«, sagte sie und ihre schönen Augen blitzten. Sie sah mich etwas schief an. »Dein Vater …«
»Hat dir mich versprochen?«, rief ich erschrocken.
Mir lief es kalt über den Rücken. Nach den Erfahrungen, die ich auf der Insel Scheria mit der wunderschönen Nausikaa gemacht hatte, kam mir der ungeheure Gedanke, dass mein Vater überall in der Welt, wo er in der Gesellschaft von Frauen verweilt hatte, bei seiner Abreise großzügig die Manneskraft seines Sohnes verschenkt hatte … Ich hielt mich weder für schwach noch für feige. Aber diese Möglichkeit entsetzte mich.
»Nichts hat er versprochen«, sagte Kalypso großmütig, aber noch immer warf sie mir diesen listigen, schiefen Blick zu. »Die Versprechen deines Vaters haben wir, die Göttinnen, ohnehin nicht wörtlich genommen. Außerdem hat dein Vater nur davon gesprochen, dass er einen Sohn hat, der ihm ähnlich sieht.« Ihre Stimme wurde leiser. »Ich leugne nicht, dass ich viel an deinen Vater denke. Die Zeit, die für uns Götter nicht existiert, ist bei Gefühlen dennoch relevant. Wenn eine Göttin einen Menschen liebt, ist sie, ob sie will oder nicht, gezwungen, mit menschlichen Maßen und Größen zu rechnen. So habe ich die Zeit kennengelernt, eure schreckliche, bedauernswerte Kerkermeisterin. Von ihr habe ich begriffen, dass warten bedeutet, einer Sehnsucht Gestalt zu geben. Zurückerwarten«, sagte sie leise und unruhig, »ist noch gefährlicher.«
Als sie das letzte Wort aussprach, bekam ihre Stimme Glut. Ich wartete, bis sie die plötzliche Erregung unter Kontrolle hatte, und redete erst weiter, als ich sah, dass sie sich mit dem Zipfel ihres weichen und luftigen Taschentuches, das weißem Meeresschaum glich, vorsichtig eine Träne wegwischte; sehr sorgsam, um
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