Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
erhaben. »Die Menschen irren sich, wenn sie denken, das Verwandtschaftsverhältnis der Götter zu kennen. Und sie verwechseln diese Beziehungen gern mit den Formen menschlichen Zusammenlebens. Ja, es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Lebensformen … Wir Göttinnen können auf menschliche Weise leben, wenn wir gerade wollen. Aber die Erfahrung lehrt, dass es besser ist, den gesellschaftlichen Unterschied zwischen Menschen und Göttern aufrechtzuerhalten.«
Wir schwiegen. Wortlos verzehrte ich den Büffelkäse in Anis, dann begann ich, einen Granatapfel zu schälen, den mir Galateia mit einem vielsagenden, verheißungsvollen Lächeln reichte. Kalypso sah aufmerksam zu, wie ich mich mit dem körnerreichen Obst mühte, dann drohte sie mir scherzhaft mit dem Finger.
»Gib acht!«, sagte sie, und die Nereiden, die gerade im Raum waren, brachen in ein Lachen aus, das wie Harfentöne klang. »Galateia ist ein großer Schelm und nimmt an, dass du die Wirkung des Granatapfels nicht kennst, der Lüsternheit und aphrodisische Leidenschaften entfacht! Gebt ihm von den gewöhnlichen Äpfeln, die der galante Hermes gerade aus dem Garten der Hesperiden geschickt hat!«
Verlegen warf ich den Granatapfel weg und nahm aus einem Silberkorb, den Glyke vor mich gestellt hatte, einen goldfarbenen, fleischigen Apfel. Ich wollte nicht, dass mich meine Gastgeberin für ungebildet hielt, und deshalb bemerkte ich, den saftigen Apfel in der Hand, bescheiden und schlau im lockeren Plauderton:
»Ich komme vom Lande, bitte habe Nachsicht mit meiner mangelhaften Bildung … Ich wusste nicht, dass im Garten der Hesperiden auch nach dem Treiben des Herakles noch Obst übrig ist.«
»Schweig!«, flüsterte sie vertraulich und sah sich um. »Beleidige nicht den Herakles!« Sie legte den wunderbaren Finger mit einer diskreten, verbietenden Bewegung auf den herzförmig gemalten, fleischigen Mund. »Er ist unsere letzte Hoffnung.« Sie sah sich furchtsam um, ob nicht jemand ihre Worte hörte. »Er allein kann dafür sorgen, dass mein strahlender Onkel Prometheus endlich aus der grässlichen Gefangenschaft befreit wird, mit der Zeus den aufständischen Titanen belegt hat.«
Als bedauerte sie ihre Worte, fuhr sie wieder im Plauderton fort:
»Herakles hat nur die goldenen Äpfel mitgenommen«, sagte sie beiläufig, »die Hesperiden und der brave Drache Ladon beschäftigen sich auch weiterhin mit dem Anbau gewöhnlicher Äpfel. Diese Qualität ist, wie ich sehe, annehmbar. Guten Appetit! Der Granatapfel bringt das Blut in Wallung, deshalb darf er auf dem Tisch junger Eheleute nicht fehlen. Aber schließlich bist du hier nicht auf Brautschau.« Ihre Stimme klang jetzt etwas heiser und hintergründig. »Du findest unter meinen Dienerinnen ohnehin keine, die für ein irdisches Leben geeignet ist … Iss also lieber mehr gewöhnliche Äpfel, denn diese Frucht hier ist heilig. Ihre geheime Wirkung ist, dass sie dich aus dem Hades erlöst.«
Ich nahm große Bissen von dem heiligen Obst. Kalypso sah mir wohlwollend zu.
»Beim Schlucken hüpft dein Adamsapfel genauso«, sagte sie freundlich, »wie bei deinem Vater. Leider kann ich keine Äpfel essen, weil ich zu viel Magensäure habe. Meine Ernährung ist, wie du siehst, eintönig. Ich muss mich mit Ambrosia begnügen, das die Tauben für den olympischen Haushalt des erhabenen Zeus sammeln. Wir Göttinnen bekommen von diesem himmlischen Vorrat bei jedem Mondwechsel eine frische Portion für den Hausgebrauch.«
Wieder klingelte sie. Mit einem raschen Bissen schluckte ich den Rest des duftenden Apfels hinunter und beobachtete mit flinken Augen und scharfen Ohren, was geschah, denn mich interessierte alles, und ich wollte kein einziges Wort der Nymphe verpassen.
»Iris und Altis«, sagte Kalypso zu den beiden Nereiden, die auf den Ruf der Klingel in den duftenden und halbdunklen Raum getreten waren, »deckt ab! Stellt dem lieben Gast Wein und einen Mischkrug in Reichweite. Werft ein paar Zypressenzweige in das Feuer! Dann achtet darauf, dass mich niemand stört, denn ich habe mit dem Gast zu reden.«
Die geheimnisvollen Dienerwesen erfüllten die Befehle ihrer Herrin lautlos. Ich beendete das Essen und wartete, bis die Nereiden die Schüsseln und Teller fortgebracht hatten. Als wir allein waren, sah mich Kalypso, die jetzt stumm dasaß – sie lag eher, etwas zurückgelehnt, auf der prächtigen Liege –, mit einem sonderbaren, rätselhaften Lächeln an. Sie wartete, bis die schuppigen Wesen das
Weitere Kostenlose Bücher