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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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zuließ«, sagte die Nymphe überheblich. »Deine Mutter redet schlecht über mich. Sieh klar, Junge! Wir, die Nymphen, sind keine Feinde der menschlichen Rasse. Ich weiß, es wird geredet, dass wir zügellos leben. Aber das sind Verleumdungen der Menschen. In Wahrheit haben wir ein großes Herz. Wohltätigkeit, Überfluss, Fruchtbarkeit – danach streben wir. In unserer Gesellschaft sind öfters Götter anzutreffen, besonders Hermes und der arkadische Pan. Aber was die Menschen mit den Besuchen unserer göttlichen Verwandten verbinden, sind alles gemeine Unterstellungen. Auch Dionysos war schon oft bei mir, weil er die Musik liebt. Es ist allgemein bekannt, dass die Nymphen und Nereiden am liebsten tanzen und im Chor singen und dass ihre Leidenschaft so ungebremst ist, dass sie sich manchmal nicht mehr zurückhalten können und Dionysos zu Ehren mit erregten, freizügigen Gebärden tanzen. Ein Mensch kann den wahren Gehalt solcher Beziehungen niemals verstehen«, sagte sie ernst und geheimnisvoll. »Schließlich haben Hermes, Pan und auch Dionysos nur niedrigen Rang auf dem Olymp. Einen höheren Rang hat Apollon, der oft bei mir zu Gast ist.« Mir fiel auf, wie feierlich und stolz sie den Namen Apollons aussprach. »Von ihm lernen wir Nymphen die Geheimnisse der Heilkunst. Als dein Vater zu mir kam, litt er viel unter Verdauungsbeschwerden, weil die Mühen des Kriegslebens, die jämmerliche Kost vor Troja, die Seuchen und dann das maßlose Weintrinken seinem göttlichen Inneren geschadet hatten. Ich habe ihn geheilt, dank Apollon«, sagte Kalypso gerührt. »Er hat Einläufe bekommen, ich habe ihn auf nüchternen Magen verdünnten Schierlingsaufguss trinken lassen, drei Monate lang … einen Absud, den Galateia besonders geschickt zubereitet. Er war kerngesund, als ich ihn nach Hause nach Ithaka geschickt habe.« Sie hatte ihre Rührung überwunden und sprach nun wieder so überheblich wie zuvor.
    »Das stimmt«, sagte ich mit geheuchelter Dankbarkeit. »Mein Vater kam in prächtigem Zustand bei uns an.«
    »Weil er klug war«, sagte die Nymphe leiser. »Er hatte nicht nur einen erfindungsreichen Verstand, sondern achtete auch auf seinen Körper. Das ist eine seltene Fähigkeit beim menschlichen Geschlecht. Er wusste, dass ein Mensch nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Magen und den anderen Organen Mensch ist. Er konnte maßlos sein, sich zugleich aber beherrschen.« Aus ihrer Stimme klang etwas wie Andacht.
    Plötzlich und unvermittelt sagte sie dumpf:
    »Er hatte die Fähigkeit und den Mut, Mensch zu sein. Offenbar ist das sehr schwierig.«
    Die Glut der halb verbrannten Zypressenzweige glänzte im Kamin wie geschmolzene Bronze. Ich dachte über die Worte der Nymphe nach und betrachtete dieses sonderbare Licht. Worte und Erscheinungen hatten, so fiel mir auf, in dieser zauberhaften Umgebung einen besonderen, unmittelbaren Sinn. Vor nicht allzu langer Zeit hatten die Menschen entdeckt, dass das Metall, das auf Zypern abgebaut wurde, das Kupfer, eine mächtige Waffe in ihrer Hand sein konnte, wenn sie neun Teile dieses Metalls im Schmelzofen mit einem Teil Zink mischten … Und mit dieser Waffe konnten die Helden von Argos mutig ausziehen, um die Welt zu erobern. Das Mischungsverhältnis kannte nicht einmal Hephaistos; es war, wie vieles andere auch, Geheimnis der Menschen. Und jetzt, als mich die Glut der verglimmenden Zypressenzweige an Zypern, das Kupfer und die menschlichen Kunstgriffe denken ließ – Kunstgriffe, die nicht nur die Kriegsführung in unserer großartigen Epoche verändert hatten, sondern auch das menschliche Zusammenleben –, bekamen diese einfachen Erscheinungen und Tatsachen für mich mit einem Mal einen neuen Sinn. Ich begriff, dass wir Menschen von dem Augenblick an, als der rebellische Onkel meiner Gastgeberin, der wilde Titan, für die Menschen das Feuer aus dem Himmel gestohlen hatte, einen eigenen Weg gegangen waren und dass die Götter zu Recht argwöhnisch die Wege der erfindungsreichen sterblichen Menschen im Auge behielten … Mein Vater hatte die Fähigkeit und den Mut, Mensch zu sein, hatte Kalypso gesagt. In der großen Stille hallten die Worte lange in meinem Herzen nach.
    X
    Die Nymphe erhob sich. Mit einer herzlichen und vornehmen Bewegung mischte sie für mich Wein und reichte mir großzügig den Becher:
    »Fürchte dich nicht!«, ermunterte sie mich. »In meinem Haus werden die Getränke nicht mit geheimen Rauschmitteln gemischt wie in einigen Herrensitzen auf

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