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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Penelope, hat sich noch nie Schminke aus Ägypten kommen lassen. Sie duldet keinen Anstrich an ihrem Körper, auch kein Öl, das aus einem Land stammt, in dem die Götter Tierköpfe haben. Ihre Freundin Pallas Athene hat ihr göttliche Mittel besorgt, die ihre Schönheit bewahrt haben«, sagte ich missgelaunt. Aber Kalypso, den Spiegel und die Hasenpfote in den Händen, sah mich nicht an. Mit einer Hand bedeutete mir, dass ich schweigen solle.
    »Nichts kann die ägyptischen Mittel ersetzen. Ihr in Ithaka seid zurückgeblieben, und deine hehre Mutter mag eine ausgezeichnete Hausfrau sein, aber auf die Schönheitspflege versteht sie sich nicht. Wie du siehst, hat die Schachtel vier Fächer: drei Farben für die drei lichtvollen Jahreszeiten, die vierte ist für den Gebrauch im Winter und an nebligen Tagen. Mag sein, dass die Götter in Ägypten Tierköpfe haben, aber gewiss können sie nirgends aus zu Pulver gemahlenem Malachit so vollkommene grüne und aus Antimon so majestätische schwarze Farbe mischen, wie es die Kosmetikhändler am Nilufer tun. Vom Myrrhenöl rede ich erst gar nicht«, sagte sie und nahm aus dem Beutel eine winzige, blaue Phiole, aus der sie sich einige Tropfen in die Nasenlöcher goss. Sie hatte große Nasenlöcher, die sich manchmal leidenschaftlich weiteten.
    »Myrrhe?«, fragte ich unwillkürlich. Meine uninformierte Neugier konnte ich nicht verbergen. Kalypso lächelte überheblich, während sie sich das Öl in die Nase tropfte.
    »Kennt ihr das nicht in Ithaka?«, fragte sie eingebildet. »Ein Duftmittel, das die Atmung erleichtert und die inneren Atemwege mit einem angenehmen Duft salbt. Ich bekomme es aus Somalia.« Sie steckte das blaue Glasfläschchen wieder in den Beutel zurück. Als ich verstohlen hineinsah, entdeckte ich nebst anderen Schminkutensilien auch noch eine Schere sowie kleine, elfenbeinerne Bürsten zur Nagelpflege, die die Form von Giraffen, Füchsen und Straußen hatten. »Das Myrrhenöl reicht allerdings nicht an das Kyphi-Parfüm aus Ägypten heran, das aus sechzehn Zutaten besteht und dessen Zusammensetzung nur die dortigen Priester kennen. Die Nereiden parfümieren damit die Kleider. Wir mischen es auch in unser Mundwasser, damit der Atem immer wohlriechend sei.«
    Mit einer Hand ließ sie das Smaragdschloss des Beutels zuschnappen. Jetzt, da sie mit dem Schminken fertig war, sah sie mich selbstsicher und zufrieden an. Ich fühlte mich provinziell und plump. Wir waren allein. Sie beugte sich ein wenig zu mir herüber und begann leise zu sprechen.
    IX
    »Trink«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme, »du sollst dich wohlfühlen, mein Sohn! Ich weiß, welcher Sturm in deinem Herzen tobt, und will deine Zweifel zerstreuen, so gut ich kann. Ich möchte, dass dich die Angst in Zukunft nicht mehr quält.«
    »Hat mein Vater davon gesprochen, dass er mich töten wollte?«, fragte ich laut. Ich stützte die Ellbogen aufs Knie und sah der geheimnisvollen Hausherrin in die meergrünen Augen.
    »Ausgesprochen«, sagte Kalypso vorsichtig, »hat er es nie. Dein Vater kann großartig lügen, aber er kann auch prächtig schweigen. Gewiss wirbeln im Herzen dieses Mannes ganz besondere Leidenschaften. Von der Prophezeiung, die ihm die beduselten Verkünder in Delphi ins Ohr geflüstert haben, weiß ich trotzdem. Ja, diese Prophezeiung beschäftigt ihn. Aber ich glaube nicht, dass er es auf dein Leben abgesehen hat. Er hat dich immer als seinen legitimen Sohn anerkannt. Du bist der Erbe seines Thrones.« Spöttisch verzog sie ein wenig den schön geschwungenen Mund. »Du und deine hehre Mutter, die tugendhafte Penelope, nehmt im Herzen des großen Wanderers einen besonderen Platz ein. Wenn er einem von seinen Söhnen nach dem Leben trachtet, dann bist das bestimmt nicht du.«
    Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie ehrlich sprach. Wieder sah sie mich scharf an.
    »Du liest in meinem Herzen …«, begann ich verlegen.
    »Ich lese in deinem Herzen, was nicht weiter schwer ist, weil du ein Mensch bist«, sagte sie heiser und ein wenig nervös. »Du bist ein Mensch, also fürchtest du dich davor, dass man dich tötet. Oder dass du ihn tötest. Nicht wahr?« Ihre Frage klang hart und streng.
    Ich richtete mich im Sitzen auf. Die Worte der Nymphe hatten mich ins Herz getroffen.
    »Töten? Ihn?«, stammelte ich. »Den Lichtbringer töten?« Ich flüsterte. »Was redest du, göttliche Frau?«
    »Keine Ausflüchte!«, sagte sie kalt. »Ihr Menschen bleibt offenbar auch im erwachsenen Zustand wie

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