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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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den Nachbarinseln, beispielsweise auf der Insel von Kirke, meiner göttlichen Verwandten.« Sie verzog den Mund und setzte sich auf die Liege zurück, von wo sie mit seitlich geneigtem Kopf zusah, wie ich langsam und schlückchenweise die edle Flüssigkeit aus dem Becher trank. »Gib gut acht! Von hier gehst du zurück in die Welt, an den Rockzipfel deiner Mutter!«, sagte sie überheblich. »Und in die Arme anderer, sterblicher Frauen«, fügte sie noch hinzu, sehr von oben herab; augenscheinlich gekränkt durch Erinnerungen. »Alle tut ihr das schließlich, ihr Menschen. Ihr seid neugierig, vermischt euch mit dem geheimnisvollen Element des göttlichen Lebens, aber dann sehnt ihr euch zurück auf die Erde.« Ich wagte nicht zu widersprechen. »Ich will, dass du die Wahrheit weißt, wenn du zu den Menschen zurückgehst. Nicht nur über deinen Vater, sondern allgemein über die Götter und die Menschen. Du bist Ulysses’ Sohn. Er ist aus meinem Leben verschwunden. Ich weiß nicht, ob ich ihn noch einmal wiedersehe. Die Erde hat ihn verschluckt, und diese Sphäre ist für den Menschen tiefer und hoffnungsloser als der Hades. Denn aus dem Hades kann ein Mensch noch auf die Erde zurückkehren. Aber von der Erde auf den Olymp zurückzukehren ist schwer. Deshalb gib gut acht!«
    Sie musste sich überwinden. Langsam und bedacht sprach sie. In der großen Stille und im Halbdunkel hallten ihre Worte so, wie wenn im Keller des Orakels von Cumae die alte Sibylle zu reden beginnt.
    »Zuerst sollst du die Wahrheit über uns Nymphen erfahren«, sagte sie feierlich. »Ulysses hat heimtückisch unter uns göttlichen und göttergleichen Wesen gelebt. Seine Phantasie, sein flinker, niemals ruhender, einfallsreicher Verstand beschäftigte sich mit der menschlichen Welt und mit der göttlichen auch. Als würde er etwas suchen in der Unter- und Halbwelt des Olymp … ein Geheimnis, die Erklärung für irgendetwas. Mit seinem Intellekt hat er rasch begriffen, dass den Menschen, selbst wenn er göttlichen Ursprungs ist, eine tiefe geistige und konstitutionelle Kluft von den olympischen Wesen trennt. Der scharfe Strahl seiner glänzenden Augen forschte in uns wie das Messer des Asklepios, wenn er das Gewebe des Fleisches aufschneidet und die Zeichen der Geheimnisse des Lebens sucht … Dein Vater hat bei uns viel gelernt in den Winternächten, wenn Aiolos mit eisigen Windschlägen die Insel am Nabel des Meeres peitschte. Die dunklen Bäume neigten sich, die Meeresvögel kreischten mit dem Wind um die Wette, und ich gestehe, dass ich auch heute noch in solchen Nächten manchmal zittere und verstehe, warum die Menschen unsere Insel Toteninsel nennen. Hier schläft Kronos … In den Nächten, wenn der beständige Westwind durch die Wälder von Ogygia fegte und die Ströme der vier Quellen aufwirbelte, saß Ulysses hier mir gegenüber und passte auf. Sieben Jahre lang«, sagte sie sanft und zufrieden, »musste ich ihm erzählen. Natürlich habe ich das nicht immer getan. Es kam vor, dass auch andere Dingen zwischen uns beiden wichtiger waren.« Sie kicherte ältlich kokett und hielt sich mit einer frivolen Bewegung das Taschentuch vor den Mund, als wollte sie sich ein geziertes Lächeln oder die Spuren eines alten Kusses von den Lippen wischen. Dann fuhr sie feierlich fort: »Er wollte alles wissen, jedes Geheimnis, das sich auf den Ursprung der Götter und der Menschen bezieht. Dein Vater gab sich nicht mit dem Klatsch zufrieden, den die Achäer mit dem gewöhnlichen Wort Mythos bezeichnen. Er wollte die Wahrheit wissen.«
    »Göttin«, erwiderte ich heiser, »jedes deiner Worte ist ein großes Geschenk. Wenn du meinst, dass auch ich, der verkümmerte Sohn des Lichtbringers, würdig bin, die Wahrheit über die Götter und die Menschen zu erfahren …«
    »Du bist hergekommen«, sagte Kalypso großmütig. »Und weil du sein Sohn bist, hast du es verdient, dass ich dich in die grundlegenden Kenntnisse einweihe. Ich will, dass du dich in der Menschenwelt an diese Stunde erinnerst, so wie sich auch dein Vater auf ewig an alles erinnern wird, was er in meinem Haus, an meinem Tisch und in meinem Bett gelernt hat.« Jetzt war sie wirklich königlich, kerzengerade saß sie auf der Liege, als säße sie tatsächlich auf dem Thron des Meeres. »Ihr Achäer habt wirre Vorstellungen von uns Nymphen«, sagte sie vorwurfsvoll. »Nur die Ionier ehren uns. Sie wissen, dass wir nicht nur unsterblich sind … alle, also nicht nur wir Quellnymphen, sondern

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