Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
schoss mit meiner kleinen Schleuder Meteore in Richtung der Erde. So spielte ich. Aber manchmal ging auch meine strahlende Mutter in Großvaters Kutsche auf die Reise; sie verließ die Toteninsel und fuhr nach Westen. Ich glaubte, sie wolle dann die Sorgen des Haushalts vergessen. Später erfuhr ich, dass diese Ausflüge ein geheimes Ziel hatten: Sie suchte im Westen nach den Spuren meines Vaters.
    In meiner Kindheit sprach niemals irgendjemand vor mir den Namen meines Vaters aus.
    III
    Darum, ganz gleich, in was für einer zauberhaften und sorglosen Umgebung ich auch aufwuchs, bei Schweinen, Nymphen, Löwen, Halbgöttern und Menschen: Mein kindlicher Instinkt sagte mir, dass mich ein Geheimnis umgab. Der Name und die Herkunft meines Vaters waren dieses Geheimnis. Mit der unbewussten und dennoch keck-neugierigen Schläue, wie nur Kinder nach den Geheimnissen Erwachsener forschen können, lebte ich witternd und horchend am Rockzipfel meiner Mutter und bemühte mich herauszufinden, warum wir allein sind. Wieso war kein Mann im Haus? Wieso schwieg meine Mutter über meine Herkunft? Einige mutlose und neugierige Fragen, mit denen ich mich nach dem Geheimnis unserer Einsamkeit erkundigte, wies sie nervös zurück. Ich beschloss daher, auf der Hut zu sein.
    Meine Kindheit verging in ständiger Spannung. Die sonnenbeschienene, zauberhafte Toteninsel hatte früher dem jüngeren Bruder meiner Mutter, meinem strahlenden Onkel Aietes, gehört. Es war jedoch der Wille meiner hehren Großmutter Perse, dass im Zuge einer komplizierten Neuverteilung diese Insel mit dem fürchterlichen Ruf in den Besitz meiner Mutter übergehen sollte: Meine Großmutter meinte, die besonderen Fähigkeiten meiner göttlich dunklen Mutter würden im Reich des Todes besser zur Geltung kommen. Jedenfalls richtete sich die Flechtenschöne auf der Toteninsel heimisch ein. Das helle Licht, in dem wir lebten, der himmlische Prunk und Glanz, der dank Großvater Helios unser Leben vergoldete, dann die besondere Ruhe und Stille, die die Seele auf Erden, in der rätselhaften, ruhelosen Welt der Schatten niemals, im Licht aber immer findet: Dies alles machte die Insel Aiaia zu einem Ort, der anziehend und zugleich furchterregend-geheimnisvoll war. Später erfuhr ich, dass mein Vater es nur ein Jahr lang hier ausgehalten hat, in meinem Heimatland, bei meiner hehren Mutter. Ulysses akzeptierte den Tod als Teil des Menschseins, aber er sehnte sich nicht nach ihm und liebte ihn nicht. Seine Beziehung zum Tod blieb übermäßig menschlich. Mir scheint, er wollte nicht sterben, jedenfalls nicht vor der Zeit. Später hörte ich dann, dass er sich auch vor der Unsterblichkeit gefürchtet hat, weil er sie für eintönig hielt. Mein Vater war voller menschlicher Vorurteile.
    Die forschende Unruhe, die in der Tiefe meiner strahlenden, idyllischen Kindheit trotz allem verborgen war, meldete sich, als mein Verstand sich langsam zu öffnen begann. Die verschiedenen Spiele der Kindheit verloren für mich ihren Zauber. Die Toteninsel war nicht mehr der heitere Ort, als den ich sie kennengelernt hatte. Meine Mutter brachte mir vergeblich lehrreiche und edle Dinge bei. Als ich erwachsen wurde, hatte ich das Gefühl, von Geheimnissen umgeben zu sein, auf die meine Umgebung nicht antworten kann oder will. Meine Mutter gab sorgsam acht, dass kein Fremder meine neugierigen Fragen zu hören bekam. Ich erinnere mich nicht daran, dass auf unserer Insel jemals ein gewöhnlicher Sterblicher dem Schicksal entging, das meine strahlende Mutter den zu uns verirrten, spärlichen irdischen Besuchern bereitete. In der geheimen Küche, wo sie ihre Schönheitsmittel und die zum Zaubern nötigen Gebräue zusammenpanschte, brodelte in einem Kupferkessel ständig das frisch gekochte Gift aus Malve, Latakia, Ambra und einem noch geheimeren Kraut, das meine Mutter in das berühmte, berauschende Getränk unserer Insel, in den Kykeon, mischte, durch dessen Wirkung der Wanderer sofort in den Vierfüßerstand ging und zu grunzen begann.
    Aber nicht nur in Schweine verwandelte meine Mutter ihre Gäste. Und nicht nur die männlichen Besucher hasste sie.
    Jetzt, da ich mich entschlossen habe, meine Erinnerungen mit anderen zu teilen, frage ich mich betroffen: Kann ich wirklich alles über meine großartige Mutter erzählen? Die Welt weiß von ihr nur, dass sie die berühmte Todesgöttin war. Tatsächlich waren die Verbindungen meiner Mutter zur Unterwelt und zur Halbwelt jedoch geheimnisvoller und dunkler.

Weitere Kostenlose Bücher