Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Ihre große Macht, die sie von den Göttern bekommen hatte, übte sie schrankenlos, mit weiblicher Kaprice aus. Ich kann nicht länger schweigen, ich muss die Wahrheit sagen. Ich muss von Glaukos sprechen.
Ich weiß, allein bei diesem Namens erwacht in den Seelen der Bewohner von Argos und den Inseln viel Klatsch und schäumendes Gerede zum Leben. Die Wahrheit ist sowohl einfacher als auch geheimnisvoller, als die schwatzenden Achäer und Phaiaken zu wissen glauben. Ich selbst war noch halbwüchsig, als das geheimnisvolle Intermezzo sich abspielte. Aber nicht viel später – ich stand schon in den Reihen der jungen Männer – bot mir ein außergewöhnlicher Zufall die Erklärung für alles. Ich erfuhr die Wahrheit über meine Mutter. Und ich erfuhr die Wahrheit über meine Abstammung.
Ich will jedoch der Reihe nach erzählen. Ich war siebzehn Jahre alt. Vermutlich war ich in dieser Zeit ein wilder Kerl, ungezügelte, freie Spiele gewohnt. Mit den Jahren hatte sich das Betragen meiner Mutter, ihr Verhalten mir gegenüber, sonderbar geändert. In diesen Jahren wurde meine Mutter oft von leidenschaftlichen, plötzlichen Gefühlsausbrüchen heimgesucht. Sie suchte die Einsamkeit und hasste sie zugleich. Manchmal unternahm sie Kutschenausflüge im Weltenraum, über die Ufer des Hades hinaus, und wenn sie zurückkehrte, war sie tagelang niedergeschlagen, schloss sich in ihr Zimmer ein, quälte ihre Zofen und hatte kein Wort für mich, ihren Sohn, übrig. Manchmal sah sie mich beinahe hasserfüllt an. Wochenlang stand sie in ihrem geheimen Labor inmitten der übel riechenden Rauchwolke, die von den betäubenden Gebräuen aufstieg, oder sie kam zu mir und meinen Schweinen an den Waldrand, prüfte mit blitzendem Blick die Herde, die friedlich Eicheln fraß, hob dann plötzlich – weiß Zeus, welche Erinnerungen sie quälten! – ihre Schlangenhautpeitsche und schlug auf die armen Tiere ein. Wenn sie das tat, floh ich aus ihrer Nähe.
An den Morgen, an dem Glaukos und seine Begleiter wieder einmal auf unsere Insel kamen, erinnere ich mich noch gut. Fremde legten selten in unseren Buchten an. Aber der König von Anthedon war kein unerwarteter Ankömmling. Er war schon mehrfach bei uns gewesen, weil mein Großvater, der strahlende Helios, von diesem böotischen Krämerkönig die Wunderwicken kaufte, mit denen er seine Pferde füttern ließ. Der göttliche Wickenhändler war ein mittelalter, würdevoller Mann von stattlicher Gestalt. Er kleidete sich auffällig – seine Kleidung bestand aus einem Purpurumhang mit knalligem Streifenmuster und Sandalen mit Goldprägung –, er rieb sich Körper und Haar mit Duftöl ein, und wenn dieser Logiergast unser Haus verließ, konnte man in seinem Schlafzimmer, aber auch im Esszimmer noch tagelang den süßlichen, zimtigen Geruch seines Haaröls riechen. Aus seinem krausen, schwarzen Bart quollen mit sinnlicher Röte volle Lippen hervor. Er war eine ganz und gar orientalische Erscheinung und wirkte, obwohl er einen Bart trug – oder vielleicht gerade deswegen – eher weiblich als männlich. Er schloss gewiss hervorragende Geschäfte mit meinem Großvater ab – der Futtertransport hatte reichlich Gewinn in die Taschen des vornehmen orientalischen Händlers mit dem flinken Hirn und dem rundlichen Körper fließen lassen. Und deswegen erschien er auch immer mit einem ansehnlichen Gefolge auf einer dunkelblau gestrichenen Galeere mit silbernem Mast und brachte meiner strahlenden Mutter, den Zofen der Insel sowie mir, dem geliebten Wildfang des Hauses, reichlich Geschenke mit. Ich mochte diesen Kerl nicht, hatte mich jedoch damit abgefunden, dass der Silbermast jedes Jahr in der weinfarbenen, aufgepeitschten Bucht von Aiaia auftauchte.
Damals wusste ich noch nicht, dass meine großartige Mutter in dem orientalischen Besucher nicht nur einen Futterhändler sah. Meine Mutter hütete ihre Geheimnisse erstaunlich gut. An dem Herbstmorgen, als Glaukos sich wieder bei uns einstellte, kam er mit noch größerem Gefolge und zahlreicheren Geschenken als sonst. Meine Mutter hatte schon Tage zuvor die Gästezimmer herrichten lassen und empfing die Ankömmlinge feierlich und mit allen Bequemlichkeiten der Gastfreundschaft. Glaukos küsste ihr die Hand und lächelte finster. Das Gesicht meiner Mutter war an diesem Morgen gerötet, doch verhielt sie sich trotz aller Aufregung würdevoll. Nach der Begrüßung stellte der Krämerkönig von Anthedon sein Gefolge vor.
Diesmal hatte er sich in
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