Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
Geschmack«, flüsterte sie, dann aber kreischte sie plötzlich: »Aber ich lasse mich nicht verzaubern!« Offenbar war das ihre fixe Idee.
Bedauernd und zugleich unverhohlen gierig sah ich sie an. Sie verstand meinen sehnsüchtigen Blick und sagte in flehendem Ton:
»Telegonos, versprich mir, dass du dich keinen Augenblick von meiner Seite rührst! Du isst mit mir, kostest alles, was mir aus der Küche deiner Mutter aufgetischt wird. Ich will weder ein Eber noch ein Vogel werden!«, flüsterte sie bittend. »Ich will auch nicht mit dem geheimnisvollen Gift im Blut nach Anthedon zurückkehren, wo mich Glaukos dann ohne Widerstand nach seinem Belieben benutzen kann! Oh, kleiner Freund, welche Gefahren! Kennst du die Praktiken und Gebräue deiner Mutter wirklich nicht?« Nun klang sie misstrauisch.
Aufgebracht – wenn auch etwas unsicher – wiederholte ich, dass ich nichts von geheimnisvollen Tränken wisse: In unserem Hause würden wohlschmeckende und gesunde Speisen aufgetischt, den Gästen ebenso wie den Bewohnern. Ich versprach, dass ich im Interesse ihrer Seelenruhe alle Bissen, die sie in unserem Hause verzehren würde, mit ihr teilen wolle … Aber Skylla war misstrauisch. Leidenschaftlich flüsterte sie:
»Es ist beinahe unmöglich aufzupassen. Vielleicht nimmt deine strahlende Mutter jetzt, wenn sie allein sind, Haare, Fingernägel, vielleicht Fußnägel von dem bösen Glaukos und mischt sie mir dann ins Essen. Der Dämon, den deine Mutter mit barbarischen Worten beschwören kann und der dann ihre geheimen Befehle ausführt, gehorcht dem, der die Sprache und die Zauberworte der Dämonen kennt. Auch an Fußspuren und Kleidern bleiben solche Dämonen kleben … Nur du kannst mir helfen!«, sagte sie bittend.
»Wie denn, liebe Skylla?«, fragte ich ergriffen. Wir hatten beide Tränen in den Augen. In diesem Augenblick müssen wir gewirkt haben wie zwei Kinder, die im Dunkel des Daseins vor dem Flügelschlag der Schatten der Nacht und der Unterwelt erschrecken. »Ich tue alles, was du wünschst.«
»Rühr dich nicht von meiner Seite!«, flüsterte sie, und ihr zarter, fester Leib zitterte, als ob sie fröre. »Lass mich keinen Augenblick allein, solange wir auf der Insel sind! Bleib Tag und Nacht bei mir …«
Mit heftigem Kopfnicken versicherte ich ihr, dass sie auf mich zählen könne. Die Aussicht, dass ich die Nacht mit Skylla verbringen sollte, barg einen Strom angenehmer Erregung in sich. Aber ehe ich noch etwas darauf sagen konnte, traten Nymphen ein; sie trugen ein Alabastertablett mit goldenen Schüsseln voller geschmackvoller Speisen und silberne Weinkrüge. Die halbgöttlichen Dienerinnen stellten niedrige Tische um den Diwan, auf dem ich mit meinem Gast saß, sie richteten die Speisen und Getränke an und erwarteten wortlos die Befehle des Gastes. Skylla teilte den Dienern mit entzückenden, weltläufigen Bewegungen und Worten mit, dass sie keine Bedienung brauche und das Abendessen in meiner Gesellschaft einnehmen wolle. Die Nymphen zogen sich im Gleichschritt und im Gänsemarsch, wie meine Mutter es ihnen beigebracht hatte, zurück. Skylla lächelte und zwang mich mit einer sanften Handbewegung neben sich.
»Ich fürchte mich«, sagte sie, aber die Wärme ihres Lächelns trocknete ihre Tränen. »Ich fürchte mich, aber ich bin hungrig. Telegonos, erinnere dich an dein Versprechen. Bewirte mich!«
Das Essen, an das wir nun gingen, bleibt eine der schönsten und lehrreichsten Erinnerungen meines Lebens. Skylla hob mit den Spitzen ihrer feinen Finger die wohlschmeckenden Happen aus der Schüssel und reichte mir einzeln Stücke von Brot, Fleisch, Fisch und süßem Gebäck. Ich biss von jedem die Hälfte ab, die übrigen Happen verzehrte dann mein bezaubernder Gast. Diese Art zu Essen regte nicht nur unsere Gaumen an, sondern auch andere Sinnesorgane. Beim gemeinsamen Kauen und Abbeißen vermischte sich unser Speichel. Skyllas schneeweiße Zähnchen, die heller glänzten als Perlen und mich an die kreideweißen Hauer einer selten schönen Läufersau erinnerten, ließen fröhlich die edlen Speisen krachen. Wir lachten, steckten einander Granatapfelspalten in den Mund, tranken Wein und machten unweigerlich ein Spiel daraus: Ich sog meine Mundhöhle voll mit dem edlen, dunkelbraunen Wein, der in der Gegend des Sees Averna, beim Tor des Hades, wuchs und den die alte Freundin meiner Mutter, die Sybilla von Cumae, die sich auf ihre alten Tage mit Weinanbau, Prophezeiungen und ländlichen
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