Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)
grunzt ungeduldig im Stall, und die neuen Eber, die ich gestern gekauft habe, um unsere Zucht aufzufrischen, warten seit dem Morgen auf ihr Futter.«
Der Schlaf verflog aus meinen Augen. Gestern hatte ich noch nichts davon gehört, dass meine Mutter neue Eber für unsere Schweinezucht gekauft hatte. Erschrocken raffte ich mich auf. Skylla starrte mich mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen an:
»Telegonos«, rief sie und streckte die warmen Arme nach mir aus, »du hast mir versprochen, dass ich nicht allein bleibe!«
»Fürchte dich nicht, mein Kind«, sagte meine Mutter mit eiskalter Höflichkeit. »Du hast die Erfahrung machen können, dass in meinem Hause mit Gästen gut umgegangen wird und dass ihnen die Hausbewohner jeden Wunsch erfüllen.« Ihre Augen blitzten bösartig. Dann wandte sie sich wieder zu mir und ließ die Peitsche schwingen. »Hörst du nicht, was ich sage, Telegonos? Die Schweine warten! Los, geh!«
Hilflos und gedemütigt schlich ich mich aus dem Zimmer, wo ich in der vergangenen Nacht meine ersten wirklich menschlichen Erfahrungen gesammelt hatte. Von der Schwelle hörte ich noch, wie meine Mutter die schluchzende Skylla mit tröstenden Worten zum Aufstehen nötigte:
»Ich freue mich, dass dir in Gesellschaft meines Sohnes die Nacht schnell vergangen ist und dass du die Zeit in meinem Haus angenehm verbracht hast. Dein Onkel und sein Gefolge sind schon abgereist«, sagte sie mit einem sonderbaren, furchterregenden Klang in der Stimme. »Sie sind am Morgen abgefahren und wollten dich nicht wecken.« Skylla schrie wieder auf, und ein heftiges, krampfhaftes Schluchzen schüttelte ihren leicht gekleideten, schönen, jungen Körper. »Heule nicht, meine Tochter!«, sagte meine hehre Mutter hart. »Hast du dir vielleicht gewünscht, dass dein großzügiger Wohltäter, der strahlende Glaukos, in dein Zimmer tritt, wenn die rosenfingrige Morgenröte hier die Geheimnisse der Nacht aufdeckt?«
Skylla schluchzte, und nur das heftige Zucken ihres Körpers verriet, wie sehr diese Möglichkeit sie mit Abscheu erfüllte. Meine Mutter setzte den morgendlichen Dialog mit sonderbarer, bösartiger Befriedigung fort:
»Na, siehst du!«, sagte sie überheblich und spöttisch. »Glaukos hat dich meiner Obhut anvertraut. Im Frühling kehrt er zurück, und er hat mich gebeten, mich im Winter mit dir zu beschäftigen und dir das eine oder andere beizubringen, was für die Erziehung einer vornehmen Dame nötig ist. Steh auf, meine Tochter!«, sagte sie großzügig. »Nach der Reise und der vergangenen Nacht wird deinen Gliedern ein heißes Bad sicher guttun«, sagte sie geheimnisvoll. »Dein Badewasser habe ich selbst bereitet …«
Plötzlich wandte sie sich um, weil sie spürte, dass ich noch immer auf der Schwelle stand und mit beklemmender Sorge im Herzen ihre sonderbar klingenden, geheuchelt freundlichen und irgendwie dennoch Unheil verkündenden Worte hörte.
»Du bist ja immer noch hier!«, rief sie, und ihre Augen sprühten grüne Funken. Erschrocken machte ich mich in Richtung der Ställe davon. Ich hörte noch, wie die Nymphen das Badewasser für Skylla in die Alabasterwanne plätschern ließen. Ich beschloss, auf der Hut zu sein und meine Freundin, die anmutige Skylla, gegenüber jedem – auch gegenüber meiner hehren, aber fürchterlichen Mutter – zu verteidigen. Damals kannte ich die Macht meiner Mutter noch nicht. Ich eilte zu den Ställen wie jeden Morgen. Die Sorge um Skylla hatte die Erinnerung an die sonderbaren Worte meiner Mutter ausgelöscht, mit denen sie vorhin die unerwartete Erweiterung unseres Schweinebestandes erwähnt hatte. Der Feuerwagen meines Großvaters fuhr schon hoch am Himmel, und die Herde empfing mich mit ungeduldigem Grunzen. Ich schob das Gitter der Brettertür des Maststalls beiseite, und die Schweine stürmten, einander überrennend, aus den Ställen hin zum kühlen Waldrand, zu den Eicheln und zur Tränke. Ich sah ihnen nach und kam erst in diesem Augenblick zu Verstand. Es war, als hätte mein junges Herz für einen Augenblick vor Schreck aufgehört zu schlagen.
Sechs kleinere, mittelschwere Schweine mit schwarzen Borsten trabten unbeholfen der Herde hinterher. Und als wäre es für diese tierischen Wesen noch ungewohnt, sich auf vier Beinen zu bewegen, folgten sie taumelnd der hungrig und durstig dahinstürmenden Schweineschar. Die Ankömmlinge waren offensichtlich noch keine vertraute Gemeinschaft mit ihren Gefährten eingegangen, mit den alten, fetten
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