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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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da, aber ich sah, dass sie erbleichte.
    »Der Zauber ist das Vorrecht meines Ranges«, begann sie zu sprechen. Hermes schnitt die geflügelten Worte aus dem schönen Mund mit höflicher Strenge ab:
    »Es gibt eine Grenze«, sagte er mit erhobener Stimme. »Solange du gespielt hast und die Erscheinungsgestalt der Lebewesen mit deiner launischen Phantasie verändert hast, hat man an oberer Stelle diese deine Vorliebe geduldet. Aber wir haben dich beobachtet. Die eingegangenen Anzeigen verderben einem inzwischen nicht mehr nur die Laune, sie beunruhigen auch. Wir haben nichts gesagt, solange du sozusagen versuchsweise einige Menschen in Schweine verwandelt hast. Die Welt ist schließlich noch nicht ganz abgeschlossen … die menschliche Welt ebenso wenig wie die tierische oder die pflanzliche. Ja, ich will dir das Geheimnis verraten, dass nicht einmal die göttliche Welt vollkommen abgeschlossen ist. Das große Experiment der Schöpfung geht weiter. Zeus richtet manchmal mit einer einzigen Bewegung seiner vornehm buschigen Augenbrauen etwas an der äußeren Gestalt der Lebenden. Wir haben deine Spiele geduldet in der Hoffnung, dass in deinem strahlenden Busen anmutige und glückliche Ideen entstehen und du die Details vervollkommnest. Aber bisher hast du nichts Neues erfunden.« Vorwurfsvoll beugte er sich vor, den Kelch mit dem Nektar in der Hand. »Wir, die wir für die Entwicklung verantwortlich sind, können das unverantwortliche und nicht ganz unschuldige Spiel, das du mit den Sterblichen treibst, nicht weiter dulden. Das Ziel der Entwicklung ist schließlich nicht, dass Zweibeiner auf vier Beinen gehen und der Mensch zu grunzen beginnt, statt weise zu sprechen.«
    »Wo und wann«, fragte errötet meine Mutter, »hast du je einen Menschen getroffen, der weise gesprochen hat? Ganz gleich, mit was für schmückenden Worten sie ihre Sehnsüchte bekränzen, sie wollen immer nur das eine! Ihre geheime Sehnsucht erfüllt sich, wenn sie anfangen zu grunzen …«
    »Meine Liebe«, sagte rasch der Argostöter, der Herold, »unter vier Augen können wir zugeben: Der Mensch ist die Schöpfung der Götter, und auch grunzend kann er nur das sagen, was er von den Göttern gelernt hat. Die Welt ist ein großer Maskenball, und wenn Zeus den Lebenden eine Maske gibt, müssen wir achtgeben, dass diese Maske auch dem inneren Wesen entspricht. Das Schwein ist in der Welt der Lebenden eine glückliche Idee, aber es ist nicht die einzige Möglichkeit, zu der ein Lebewesen im großen Reigen der Verwandlungen fähig ist«, sagte er höflich und streng. »Doch darum geht es letztlich nicht. Ich bin mit einem Befehl gekommen. Bisher haben wir mit vorausschauenden Schritten manchmal die schädlichen Auswirkungen deiner Zauberei, dieses fürchterlichen Vorrechts deines göttlichen Ranges, gemildert. Wir haben uns damit abgefunden, dass du mit den Möglichkeiten der Menschen- und Tierzucht herumspielst. Wir haben nicht eingegriffen, als du Picus, der schließlich ein König war, zum Specht verzaubert hast und den unglücklichen Vogel, wie ich sehe, immer noch im goldenen Käfig hältst.«
    Bei diesen Worten begann der Vogel heiser, schmerzlich zu krächzen und schlug mit dem langen Schnabel verzweifelt an das Gitter.
    »Krächze nicht, Dummkopf!«, sagte der Gott überheblich über die Schulter. Der Specht verstummt erschrocken. »Gewiss, den Menschen, der im Taumel des Abenteuers das Verhängnis der Verwandlung sucht, können auch wir Götter nicht vor seinen Dämonen schützen. Aber unter deinen Opfern sind auch Unschuldige. Wenn ich Ulysses damals nicht zur Hilfe geeilt wäre, würden er und seine Gefährten auch in deinen Ställen grunzen.«
    »Wagst du zu sagen«, fragte meine Mutter mit zitternder Stimme, »dass es für die menschliche und die göttliche Welt ein besonderes Unglück bedeutet hätte, wenn Ulysses und seine Gefährten nicht von meiner Insel in die Welt der Lebenden zurückgekehrt wären?«
    Hermes sah meine aufgeregte Mutter unter seinen struppigen, rötlich grauen Augenbrauen mit scharfem, forschendem Blick an.
    »Eigenartige Frage«, sagte er leise. »Sie wurde auch auf dem Olymp gestellt, im geheimen Rat.« Er murmelte leise vor sich hin, als spräche er zu sich selbst. »Die Sorte Mensch wie Ulysses ist tatsächlich ein gefährlicher Wanderer auf der Erde. Wie Prometheus, der aufständische Titan, forscht auch Ulysses nach dem göttlichen Geheimnis.« Er beugte sich vor und sagte bedeutungsvoll: »Du musst wissen, dass

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