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Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition)

Titel: Die Frauen von Ithaka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sich im Sitzen auf. »Sonderbar, dass der erhabene Zeus gerade dich als Herold, Ankläger und Richter zu mir schickt! Warum eigentlich? Mit welchem Recht klagst du mich an, ausgerechnet du? Wir sind Götter, und wir sind unter uns. Wir können frei sprechen und müssen uns kein Schloss vor den Mund legen.«
    »Pass auf, meine Liebe!«, sagte Hermes besorgt. Er beugte sich vor, berührte mit einer Hand das Knie meiner Mutter und sah sich im Halbdunkel vorsichtig um. »Wir sind allein, aber auch als Gott kann man heutzutage nicht mehr wissen, ob nicht in der Nähe ein neugieriger Mensch lauscht.«
    »Ach, die Menschen«, sagte meine Mutter verächtlich und winkte ab. »Ich fürchte mich nicht vor ihnen und bedaure sie nicht.« Am Klang ihrer Stimme erkannte ich, dass sie nicht ehrlich war. »Jetzt spreche ich zu dir, zu dem Gott, dem Herold, dem Argostöter. Du klagst mich an, weil ich die Todesgöttin bin, und wirfst mir vor, dass ich mit den Menschen, diesen untreuen Meisterwerken der Schöpfung, so umgehe, wie sie es verdienen. Als wärst du nicht selbst auch Bote der Unterwelt, hehrer Hermes! Jeder weiß, dass du ein Verhältnis mit Persephone hattest. Es ist kein Geheimnis, dass du Daeira damals in Eleusis geheiratet hast, die eine mächtige, infernalische Göttin war. In der dunklen Zauberei ist dein Name Hermes Katoxos. Warum schaust du so finster? Ja, du bist derjenige, Der-die-Seelen-unterwirft … Du wagst es, mir Zauberei und Magie vorzuwerfen, wo du selbst Meister darin bist, menschliche Zungen, Hände und Füße mit Zauberei zu binden. Jedes Satyrjunge weiß, warum sie in Thessalien einen Monat Hermaios genannt haben: deinem, das Todesgottes, Namen zu ehren.«
    Hermes hüstelte verlegen und hielt sich die gepflegte weiße, mit rötlichem Haar bedeckte Hand vor den Mund.
    »Kirke«, sagte er, »die Erregung reißt dich mit. Ich verstehe, dass die Erwähnung von Ulysses’ Namen in deinem edlen Busen Wut auslöst. Aber der Befehl, mit dem ich zu dir gekommen bin, ist streng. Höre mit dem Zaubern auf! Wir müssen den Menschen, dieses besondere Wesen, schützen, weil sich die Mächtesituation in der Welt geändert hat. Ich werfe dir nicht vor, dass du dir Liebhaber gehalten hast«, flüsterte er gehässig und beugte sich etwas vor.
    Meine hehre Mutter lachte wild und spöttisch auf.
    »Das wäre auch verwunderlich«, sagte sie gereizt, und in ihrer Stimme lag die Leidenschaft einer gekränkten Frau, »wenn du es wagen würdest, mir Liederlichkeit vorzuwerfen. Du, der du nicht nur Herold bist, sondern berufsmäßiger Kuppler!«
    Hermes räusperte sich und richtete sich gekränkt auf.
    »Also bitte!«, sagte er. Doch die Stimme meiner Mutter peitschte wie ein Schrei in einer Sturmnacht.
    »Du wagst es zu leugnen, dass du Aphrodite mit Anchises zusammengebracht hast?«
    »Ich bitte dich«, sagte Hermes nervös, aber galant, »lassen wir Aphrodite!«
    »Ich verstehe, dass es dir peinlich ist, dich an sie zu erinnern«, sagte meine Mutter triumphierend. »Aber die Wahrheit ist, dass du Hephaistos um die Liebe der göttlichen Aphrodite beneidet hast. Als der Adler die Sandale der Göttin herunterwarf, bist du verrückt geworden und wahnsinnig und brünstig den Spuren der Sandalenbesitzerin gefolgt. Das Weltall kennt euer Geheimnis, und es ist kein Zufall, dass das Symbol der erhabenen Aphrodite und des großen Kupplers Hermes bis heute der lüsterne Ziegenbock ist, überall auf den Inseln. Kein besonders vornehmes Symbol, das muss ich schon sagen«, bemerkte meine Mutter gereizt. »Du erhebst Anklage gegen mich, der du Eurydike mit einem struppigen Sänger, einem gewissen Orpheus, verkuppelt hast? Warst du es nicht auch, der Alkmene mit Rhadamantys zusammengebracht hat? Sieh mir in die Augen, du lüsterner alter Dieb! Erinnere dich an unsere Liebe, die vergänglich war wie die Nacht! Trotzdem gibt es eine Bindung zwischen uns, denn wir waren jung, und ich habe einmal in deinen Armen gelegen. Wagst du zu leugnen, dass du – ja, winde dich nicht, gib es schon zu! –, dass du Herakles an Omphale verkauft hast?«
    Bei diesen Worten fuhr Hermes sonderbar zusammen. Hinter dem Busch, wo ich hockte, hatte ich den Sinn der Worte, die Bedeutung der vorgebrachten Anschuldigungen und Namen nicht genau verstanden, ich sah nur, dass der göttliche Besucher sich erschrocken umsah und besorgt, beinahe flüsternd sagte:
    »Liebe Freundin, du bist nicht bei Verstand! Es gibt viel im Himmel und auf Erden, über das man besser

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