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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Alter war Anna Lloyd Jones Wright noch eine imposante Frau. Sie war eins sechsundsiebzig groß, eine Größe, die ihr gefeierter Sohn trotz seiner extrahohen Absätze nie erreichte. Sie war es, die seine Berufsentscheidung für ihn traf, als er noch in der Wiege lag, und sie war es auch, die ihn zu ihrem Okäsan ko machte.
     
    Als sie am Wisconsin entlangfuhren und Taliesin plötzlich auf der Hügelkuppe vor ihnen auftauchte, erwachte Miriam zum Leben. »Ist es das?« fragte sie und beugte sich vor, während er den Wagen am Haupttor ausrollen ließ, damit sie das Haus aus der richtigen Perspektive bewundern konnte. »Und das ist der See, von dem du erzählt hast? Und da drüben ist der Damm? Und was ist das da links?«
    »Tan-y-deri«, sagte er. »Das Haus meiner Schwester Jenny. Und siehst du das dahinter? Das ist Romeo und Julia.«
    Ihr Gesicht war gerötet. Sie fasste ihn am Oberarm, zog ihn an sich und küsste ihn. »Einer deiner frühen Entwürfe«, murmelte sie. »Wie süß.«
    »Süß?« sagte er. »So würde ich es nicht nennen.«
    »Ich meine natürlich das Gefühl, deinen Sinn für Tradition. Deine erste Windmühle, hier auf deinem Besitz, und jetzt auch noch dieses großartige Haus, dieser Palast aus Licht und Luft. Es ist schön. Schöner, als ich es mir erträumt habe.«
    »Dann gefällt es dir?«
    »Ob es mir gefällt? Ich bin begeistert.«
    Er ließ den Motor laufen, während er das Tor öffnete und alle möglichen Kleinigkeiten bemerkte - das irisierende Blau der Libellen, die durch die Luft sausten, die Tatsache, dass der Graben entlang des Zufahrtswegs infolge der Regenfälle der vergangenen Woche ausgewaschen war, dass das Unkraut die Wildblumen überwucherte -, und dann saß er wieder im Wagen, legte den Gang ein, fuhr auf dem gewundenen Weg den Hügel hinauf und nahm sich vor, nachher Billy Weston oder jemand anders hinunterzuschicken, damit er das Tor schloss, denn er wollte diesen Augenblick nicht zerstören und beobachtete gespannt Miriams Gesicht, während das Haus allmählich in Sicht kam. Llewellyn, sein Jüngster - er wurde in diesem Sommer zwölf und fand sich auf dem Land zurecht, als wäre er dafür geboren -, tauchte aus dem Nichts auf, rannte mit gesenktem Kopf, wirbelnden Beinen und pumpenden Ellbogen hinter dem Wagen her und holte, als Frank das Tempo verlangsamte, auf. Und auch das war eine Freude für ihn, eine Freude, die Kitty ihm verwehrt hatte, solange Mamah hier die Hausherrin gewesen war - Mamah, ihre Erzfeindin, ihre Nemesis, die jetzt tot und begraben war, so dass er seine Kinder den langen Sommer über um sich haben konnte: Lloyd und John, beide verheiratet, aber hier, um beim Wiederaufbau zu helfen, Frances, die Semesterferien hatte, und Catherine und David, die zwischen Taliesin und Oak Park pendelten.
    Es war perfekt. Vollkommen. Der Höhepunkt seines Lebens. Alle waren hier, auch Miriam, und wie konnte Kitty etwas gegen eine Frau haben, die sie nie kennengelernt hatte und nie kennenlernen würde? Sie musste doch begreifen, dass das, was zwischen ihnen gewesen war, längst tot war und er sein eigenes Leben auf seine eigene Art leben musste. Dies war, das spürte er, der Beginn von etwas Neuem, etwas Besserem, und er fuhr auf einer Welle der Hoffnung und des Optimismus in den Hof. Alle liefen zusammen - die Kinder, Billy Weston, sogar Mrs. Breen -, und während das Dienstmädchen das Gepäck auslud, führte er Miriam auf den Hügel, damit sie einen Augenblick verschnaufen und die Aussicht genießen konnte. Er wollte sie nicht überwältigen. Sicher war sie erschöpft von der Reise - sie fühlte sich nicht gut, das merkte er wohl -, doch sie war überaus ruhig und freundlich und voller Lob und stellte zahllose Fragen, während sie Tee tranken und er ihr anschließend in aller Ruhe das Haus und die Kunstwerke zeigte. Erst danach sagte sie, vor dem Abendessen wolle sie noch ein wenig ausruhen.
    Gab es dunkle Vorzeichen? Seine Mutter behauptete, sie sei unpässlich, und blieb in ihrem Zimmer. Die Kinder - vor allem Catherine, die die Sensibelste und Liebesbedürftigste und daher diejenige war, bei der Kittys Tiraden am meisten Schaden angerichtet hatten - zogen lange Gesichter. Sie waren natürlich wohlerzogen genug, um ihre Gefühle zu verbergen, doch er sah, dass es nicht leicht werden würde, sie zu gewinnen. Miriam war eine unbekannte Größe, vielleicht nicht das Monstrum und die Ehebrecherin, als die Kitty ihre Nebenbuhlerin Mamah geschildert hatte, aber sie war eben

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