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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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heiß, dreiunddreißig Grad im Schatten gegen Mittag, und trotzdem legte er mit Hand an und behauptete gegenüber den Arbeitern, es sei deutlich kühler als gestern - verlor er Miriam aus den Augen. Er hatte sie auf seine morgendliche Runde mitgenommen und ihr soviel wie möglich über das Leben in Taliesin erklärt, doch dann bekam sie Kopfschmerzen oder war infolge der Hitze erschöpft oder was auch immer und bat ihn, den Rundgang abzubrechen. »Soll ich dich zurückbegleiten?« fragte er, und sie sah ihn mit einem Lächeln an, das wie eine Grimasse wirkte. »Ich bin nicht behindert«, sagte sie bestimmt, doch ihre Stimme verriet sie. »Ich glaube, die dreihundert Meter oder so schaffe ich gerade noch allein.« Als er das nächste Mal an sie dachte, war es nach fünf Uhr nachmittags.
    Kaum war er im Haus, da trat ihm seine Mutter entgegen. »Diese Frau«, sagte sie mit verkniffenem Mund. »Es tut mir leid, Frank, aber sie ist keine Dame - sie ist nicht einmal höflich. Sie ist vulgär und sagt schmutzige Worte. Mag sein, dass diese Ausdrucksweise bei den Franzosen gang und gäbe ist - soviel ich weiß, ist so etwas da drüben groß in Mode -, aber in meinem Haus dulde ich das nicht, nicht in Hörweite meiner Enkelkinder oder des Personals. Ich dulde es nicht, Frank. Ich sage dir: Ich dulde es nicht.«
    Er wollte baden - oder nein: Er wollte im See schwimmen. Das Hemd klebte ihm am Rücken, die Unterarme und Hände waren schmutzig. Er war erschöpft. Und nicht in Stimmung. »Tut mir leid, Mutter, aber wir alle müssen ... Abstriche machen. Miriam steht unter großem Druck, jetzt, wo sie hierher, aufs Land, gefahren ist, und -«
    »Sie macht dich kleiner. Sie ist deiner nicht wert. Sie hat Allüren.«
    Und in diesem Augenblick erschien Mrs. Breen, mit wild funkelnden Augen, das Hörrohr umklammernd - hatten sie sich verbündet, einen Waffenstillstand vereinbart und ihre Kräfte vereint, um die Invasorin zu vertreiben? War zwischen Mittag- und Abendessen ein Krieg erklärt worden? Er war wie vor den Kopf geschlagen und sah sprachlos von einem wütenden Gesicht zum anderen. »So viel Respektlosigkeit tut einem in der Seele weh«, brüllte Mrs. Breen. »Wissen Sie, wie sie Ihre Mutter beschimpft hat? Und zwar so, dass ich es hören konnte!«
    Er war in die Küche gegangen, um ein Glas Wasser zu trinken - danach hatte er sich umziehen und Llewellyn rufen wollen, um mit ihm hinunter zum See zu gehen, doch nun saß er auf der Anklagebank. »Ich bin sicher, das ist bloß ein Missverständnis«, sagte er, »denn Miriam -«
    »Missverständnis?« Mrs. Breen hatte das Hörrohr gehoben und ließ es nun wieder sinken, wobei ihre hervorstehenden Schulterblätter sich bewegten wie Knochen in einem Sack. »Dass sie Ihre Mutter eine alte Hexe genannt hat, die sich in alles einmischt? Und dass sie mich mit Namen belegt hat, die ich nicht mal dem Teufel persönlich geben würde? Und das nur, weil ich nicht bei jedem Wort von ihr aufspringe und gerannt komme, denn immerhin habe ich hier einen Haushalt zu führen, falls Sie es noch nicht wussten, und werde nicht dafür bezahlt, für irgend jemanden die Zofe zu spielen. Was glaubt sie eigentlich, wer sie ist, dass sie mich herumkommandiert, als wäre ich eine Sklavin auf ihrer Plantage in Tennessee oder woher ihre glorreichen Vorfahren eben stammen - darüber haben wir übrigens auch eine ganze Menge zu hören bekommen.«
    »Frank«, unterbrach seine Mutter sie, »Frank, hör mir zu -«
    Kapitulierend hob er die Hände. »Ich werde mit ihr sprechen«, sagte er verärgert, ja wütend. All die Befriedigung über die getane Arbeit war verschwunden, als hätte er nichts, aber auch gar nichts zustande gebracht - Sisyphus, so musste Sisyphus sich gefühlt haben, wenn er am Gipfel des Berges angelangt war. »Jetzt. Sofort. Seid ihr nun zufrieden? Nicht genug damit, dass ich den ganzen Tag in der brennenden Hitze mit den anderen Arbeitern geschuftet habe wie ein Sklave und mir nichts anderes wünsche als ein wenig zu schwimmen und vor dem Abendessen ein bisschen Ruhe zu haben - nein, jetzt muss ich auch noch den Friedensstifter spielen, weil ihr beide -« Er hielt inne. Seine Mutter biss sich auf die Lippe. Ihre Augen waren feucht. »Wo ist sie?« »Wo sie ist?« gab Mrs. Breen zurück. »Wo sie den ganzen Tag über war: in ihrem Zimmer. Und sie hat niemanden reingelassen.«
    Sie antwortete nicht auf sein Klopfen. Er drehte den Türknauf, doch irgend etwas schien die Tür zu versperren.

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