Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
bedeutete ihm nichts, und er hatte sie, das schwor er, nicht einmal geküsst -, flog ihr Herz ihm zu. Sie las den Brief ein zweites und drittes Mal, und jeder Nerv, jede Fiber erbebte in größter Hochachtung vor dem Edelmut dieses Mannes, vor seinem Anstand, seiner inneren Schönheit, seiner Wahrheit und Weisheit. Sie beantwortete den Brief sogleich, und was sie schrieb, war so tief empfunden und wahr, dass sie ebensogut eine Ader öffnen und mit ihrem Blut hätte schreiben können.Doch sie würde nicht zu ihm zurückkehren. Niemals. Oder jedenfalls erst, wenn er sieehrlich machte, erst an dem Tag, an dem er das Joch seiner vorherigen Verbindung mit seiner Pussy oder Kitty oder wie immer sie sich nannte abgeworfen und ihr vor Gott und den Menschen die Treue geschworen hatte, so dass keine Krynska oder Takako-San sie je wieder gefährden konnte. Das machte sie unmissverständlich klar. Ihr blieb nichts anderes übrig. Schon um ihrer geistigen und seelischen Gesundheit willen. Seine Antwort - noch mehr Entschuldigungen, Reuebekundungen und inständige Bitten - kam postwendend, und sobald Miriam sie gelesen hatte, klatschte sie in die Hände, ließ sich vom Dienstmädchen Feder, Papier und Sake bringen und schrieb ihm auf der Stelle zurück. Noch keine Stunde war vergangen, da war der Brief schon unterwegs zu ihm, und am nächsten Tag traf ein weiterer von ihm ein. Die Briefe überschnitten sich, sie griffen aus und nahmen einander vorweg, so dass Miriam und Frank im Verlauf der beiden nächsten Monate mit Hilfe der langsamen, aber verlässlichen japanischen Post ein fortlaufendes Gespräch führen konnten, wobei ihre Federn sich sogar mit den kleinsten Details ihrer Beziehung, ihrer Liebe, ihrer gegenseitigen Wertschätzung und ihrer Klagen befassten - mit seinem Schnarchen, seinen Essgewohnheiten, der Art, wie er an seinen Socken roch, bevor er sie in die Wäsche gab, seinem Kommandoton, seiner bäuerlichen Ungehobeltheit, und auch mit ihren Fehlern, obgleich diese natürlich im Vergleich zu seinen ganz geringfügig waren -, und so angeregt war dieses Gespräch, dass sich darin auch Platz fand für entspannte, freundschaftliche Schilderungen der Tätigkeiten, von denen sie in der Zeit ihrer Trennung in Anspruch genommen waren.
    Selbstverständlich war sein Leben zum Bersten erfüllt mit Aktivitäten. Er war Tag und Nacht im Studio, verhandelte verbissen mit Hayashi-San und dem Baron über Änderungen und Kostenüberziehungen, kämpfte mit der Durchlässigkeit der oya Steine, die er vor der Stadt brechen ließ (er fürchtete, dass sie immer Wasser durchlassen würden, doch das Material war unvergleichlich schön), und kümmerte sich um seine Mutter. Ja, sie war bei ihm. Noch immer. Sie hatte die lange Reise durch die flachen Weiten und über die schroffen Berge des Westens sowie die zweiwöchige Überfahrt auf sich genommen, sie war an die Seite ihres (ehemals) kranken Sohnes geeilt, nur um sogleich Opfer desselben Leidens zu werden. Es war eine Schmierenkomödie, ganz eindeutig, und Miriam lag im reinigenden Wasser des Bades, erfüllt von der beseligenden Gelassenheit, die die Pravaz ihr schenkte, und lachte laut bei dem Gedanken an diese lange, dünne alte Dame - wie alt war sie eigentlich: achtzig? fünfundachtzig? -, die alle Japaner überragte wie eine Figur aus einer Kuriositätenschau und nun auf einem zu kurzen Futon lag und sich von Wasser und gekochtem Reis ernährte, bis sie sich nur noch wünschen konnte, sie wäre in Wisconsin geblieben, wohin sie gehörte.*
     
    * Wrieto-Sans Mutter war einundachtzig, als sie nach Tokio kam, wo sie von allen, die sie kennenlernten, hoch geschätzt wurde. Im Gegensatz zu Amerika ist Japan ein Land, in dem man alte Menschen ehrt, weil sie viele Jahre hinter sich gebracht haben und man durch sie den Luxus unzeitgemäßer Gedanken genießen kann. Man betrachtet sie als lebende Kunstwerke, als Menschen und nicht als entleerte Hüllen, die man in ein Fegefeuer aus Pflegeheimen und Hospizen abschiebt.
     
    Und sie? Sie schrieb ihm vom Geräusch, das der Regen machte, von der smaragdgrünen Schönheit der Bambushaine auf den Hügeln, wo die Halme standen wie Schlangen stummer Menschen, die auf etwas warteten, das nie kommen würde, und von den seltsamen, winzigen Vögeln, die sich darauf niederließen. Von ihren täglichen Ritualen, vom Lesen und Schreiben und der Wohltat des Badens. Von den kahlrasierten Mönchen in dem Tempel mit den aufgemalten Drachen und den eleganten torii

Weitere Kostenlose Bücher