Die Frauen
erfahren.«
Es knackte und rauschte in der Leitung. »Sie sagen« - seine Stimme wurde so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte -, »dass es das stärkste Erdbeben war, das Japan je erlebt hat. Und Tokio hat es am schlimmsten erwischt.«*
* Ich ging damals in Washington zur Schule, aber meine Eltern waren nach Japan zurückgekehrt, daher erschütterte das große Kantö-Beben auch den Boden unter meinen Füßen. Die Telegrafenleitungen waren unterbrochen. Es gab zahllose Gerüchte. Ich glaube, ich habe eine Woche lang nicht geschlafen. Ich konnte nichts tun, ich fürchtete um meine geliebten Eltern und meine Landsleute. Die Zahl der Todesopfer wurde auf150 000 geschätzt, denn Brände hatten die Stadt zusätzlich verheert. Als schließlich ein Telegramm meines Vaters eintraf — ihre Wohnung und sie selbst waren unversehrt geblieben —, setzte ich mich wie im Traum an das Ufer des Potomac, schlug die Hände vor das Gesicht und weinte, ein lebendes Gefäß meiner Erleichterung.
»Und das Hotel?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie hielt den Atem an. Der Telefonhörer erschien ihr unerhört schwer, sie musste ihren ganzen Willen zusammennehmen, um ihn ans Ohr zu drücken. »Das macht nichts«, sagte sie, und die Worte strömten so schnell durch ihren Kopf, dass sie sie kaum aussprechen konnte, »denn ich sehe es jetzt vor mir stehen, kein Fenster beschädigt, ein Zeugnis für deine Kunst, für dich, Frank, selbst wenn die ganze Stadt ringsum dem Erdboden gleichgemacht ist, und es ist mir gleichgültig, was sie sagen mögen, es ist mir egal -«
Zwölf endlose Tage lang waren sie im ungewissen.
Die Zeitungen waren voll davon, die Schlagzeilen verkündeten die Katastrophe, die Bluthunde von der Presse zerrten noch die letzten Einzelheiten aus den Trümmern hervor, doch nichts war gewiss, und bevor alle Tatsachen feststanden, konnte man niemandem glauben. Frank war so besorgt, dass er keine zwei Minuten stillsitzen konnte. Er ging stundenlang auf und ab. Verlor den Appetit. Vernachlässigte die Arbeit, drehte am Sendersuchknopf des Radios und blätterte in Zeitungen. Der grausamste Augenblick kam, als sie mitten in der Nacht vom Telefon geweckt wurden. Es war ein Reporter des Examiner, der Frank selbstzufrieden und voller Schadenfreude mitteilte, das Imperial sei zerstört, und wissen wollte, ob Frank sich dazu äußern wolle. Miriam tauchte zerschlagen, von Morphin umnebelt, aus den trüben Tiefen des Schlafs auf, umfangen vom dunklen Fluss ihrer Träume, und sagte: »Was? Was?« Sie hörte im Dunkeln seine vor Empörung verzerrte Stimme, die der Welt die Wahrheit entgegenschleuderte: »Wer hat das gesagt? Woher wollen Sie das wissen? Sind Sie auf einem fliegenden Teppich dorthin und wieder zurück geflogen? Nein, hören Sie: Das Kaiserliche Theater mag eingestürzt sein, das Kaiserliche Krankenhaus, die Kaiserliche
Universität und die tausend anderen Gebäude, die mit seinem Titel verbunden sind, aber wenn es in diesem ganzen zerstörten Land ein Bauwerk gibt, das noch steht, dann ist es mein Hotel. Das können Sie schreiben.«
Wie sie ihn dafür liebte - für seine Leidenschaft und Gewissheit. Wenn er mit dem Rücken zur Wand stand, kämpfte er wie ein Löwe. Sie lag da und lauschte dem sich verlangsamenden Rhythmus seines Atems, während er durch die Bewusstseinsschichten in Schlaf sank, ihr Mann, ihr Verlobter, ihr ureigenes persönliches Genie Frank Lloyd Wright, der Erschaffer des Hotels Imperial - mochte es zehntausend Jahre stehen. Und als sie selbst einschlief, hörte sie die Bauarbeiter über den aufgewühlten Ozean hinweg rufen: Wrieto-San, Wrieto-San, banzai!
Am Abend des 13. September traf endlich ein Telegramm ein. Es war vom Telegrafenamt in Spring Green an ihre Wohnung in Hollywood weitergeleitet worden, wo sie sich gerade zum Abendessen setzten. Franks Hand zitterte, als er den Umschlag aufriss. Und dann rötete sich sein Gesicht, und er las laut vor:
FOLGENDES TELEGRAMM HEUTE AUS TOKIO ÜBERMITTELT: HOTEL UNBESCHÄDIGT ALS DENKMAL IHRES GENIES. HUNDERTE OBDACHLOSE DANK PERFEKT FUNKTIONIERENDER INSTALLATIONEN VERSORGT. GEZEICHNET OKURA IMPEHO*
* Die Gelehrten streiten bis heute über die Echtheit dieses Telegramms. Viele von ihnen bezweifeln, dass es aus Tokio kam, und behaupten, Wrieto-San habe es selbst verfasst und dafür gesorgt, dass es von Spring Green an ihn geschickt wurde, damit er sich mit diesem Lob schmücken konnte. Sowohl O 'Flaherty-San als auch ich weisen diese
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