Die Frauen
Tränen so nahe war wie nur je in meinem Erwachsenenleben, schritt ich zielstrebig durch dieses Wunder der organischen Architektur und ästhetischen Reinheit und verbeugte mich vor den beiden Männern in ihren dicken Anzügen und gelbbraunen Mänteln.
Shikata ga nai, sagte ich mir - es geht nicht anders. Und dann verbeugte ich mich auch vor Wrieto-San, Mrs. Wright und den anderen Schülern, die sich wie zu einem unserer geselligenSamstagabende versammelt hatten, und lieferte mich den beiden stahlharten Vertretern des Landes aus, dem mein Land unrecht getan hatte.
Aber ich merke, dass ich schon wieder zu weit aushole. Nur soviel sei also noch gesagt, dass ich die üblichen Beschimpfungen und Entbehrungen ertragen musste, dass ich zuerst ins Gefängnis kam (oder sollte ich sagen, hinter schwedische Gardinen?), dann, nachdem Präsident Roosevelt seine berüchtigte Anordnung 9066 erlassen hatte, in ein Übergangslager in Arkansas und schließlich in das Lager Tule Lake in Nordkalifornien, wo die radikalsten und verdächtigsten Ausländer interniert wurden. Ich werde hier nicht auf die schrecklichen Verhältnisse in den unisolierten, mit Teerpappe gedeckten Baracken eingehen, in die man uns pferchte, auf das Fehlen von Kochgelegenheiten, Abfall- und Abwasserbeseitigung, auf die Drohungen und Beleidigungen seitens der Wachen oder die absurde Tatsache, ja den schieren Wahnsinn, dass Hunderte südamerikanischer Japaner, von denen viele nicht einmal mehr die Sprache von Dai Nippon sprachen, ausgeliefert und mit uns zusammen interniert wurden. Noch werde ich irgend etwas über den Leiter des staatlichen Internierungsprogramms, Lieutenant General John L. DeWitt, sagen, außer den Satz zu wiederholen, mit dem er all das Leid rechtfertigte, die Demütigungen, die Aberkennung grundlegender Menschenrechte nicht nur für vorübergehend im Land weilende Ausländer wie mich, sondern auch für die in Amerika geborenen Nisei: »Ein Japs ist und bleibt nun mal ein Japs.«
Wrieto-San schrieb mir ab und zu. Die anderen Schüler, von denen sich viele trotz Wrieto-Sans Missbilligung freiwillig meldeten und in den Krieg zogen, schickten mir Bücher und Lebensmittel und zu Weihnachten in jenem ersten Jahr eine Flasche Canadian Club Reserve Whiskey, der roch, schmeckte und durch die Kehle rann wie das pure Destillat der Freiheit. Und trotzdem gab es lange Phasen, so endlos wie die strauchbewachsene Wüste rings um die beiden spröden Gesteinsbrocken, die weit und breit den einzigen Blickfang abgaben, in denen es mir völlig einerlei war, was aus mir wurde. Ich hatte Taliesin verloren. Hatte Wrieto-San verloren. Hatte meine Würde, ja meinen Status als Mensch verloren. Hätte ich damals gewusst, wie lange der Krieg dauern würde oder dass ich Wrieto-San nach jener Szene im Hof nicht mehr wiedersehen sollte, bis der Krieg vorüber war, dann hätte ich, glaube ich, nicht durchgehalten.
Aber natürlich habe ich durchgehalten - dazu sind wir auf der Welt. Im Japanischen gibt es das Sprichwort Ame futte ji katamaru - der Boden, auf den es regnet, wird hart. Oder anders gesagt: Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker. So war es auch bei mir. Ich las, lernte kochen, arbeitete auf den Gemüsebeeten, die wir in jenem ersten Frühling anlegten, half, die Baracken zu isolieren und zu befestigen, nutzte alle Fertigkeiten, die ich in Taliesin erworben hatte, von der Feldarbeit bis hin zu den pragmatischen Baumethoden, die eigenständig zu entwickeln Wrieto-San in seiner beiläufigen Art schlicht von uns erwartet hatte. Und ich zeichnete, zeichnete soviel wie andere in einem ganzen Leben. Grundrisse für Häuser, Industriebauten, Phantasiestädte, die Wrieto-Sans Broadacre City (an deren Modell ich in Taliesin die Ehre und das Privileg gehabt hatte mitzuarbeiten) an Kühnheit in nichts nachstanden - was immer eben dazu beitragen konnte, angesichts der Ödnis und Zerstörung, die in jenen Jahren mein Leben ausmachten, das Feuer der Kreativität zu nähren.
Nach dem Krieg kehrte ich, durch meine Behandlung radikalisiert und voller Angst vor dem blanken Rassenhass, der im amerikanischen Herzland wütete, entgegen meiner ursprünglichen Hoffnung nicht nach Taliesin zurück, sondern begab mich von Kalifornien aus in meine verwüstete Heimat. Dort lernte ich Setsuko, meine spätere Frau, kennen und arbeitete an diversen Projekten - man stelle sich eine uralte, ehrwürdige Zivilisation vor, die hoffnungslos in Trümmern liegt, ein einziges endloses
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