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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Herbert Mohl - deshalb inhaftiert wurden. Wrieto-San stand zu ihnen. Er besuchte sie im Gefängnis, schickte ihnen Lebensmittel, Briefe, Bücher und anderes zum Zeitvertreib. Und auch bei mir verhielt er sich so. Keine Stunde nach den ersten Meldungen, wir hatten inzwischen gegessen und waren in den Zeichenraum zurückgekehrt, nahm er mich zur Seite. »Tadashi«, sagte er, »das alles - diese ... diese unglückselige Geschichte - tut mir ungemein leid.« Es tat ihm wirklich zuinnerst leid, nicht nur wegen des Wahnsinns, der folgen sollte, wegen all der Toten und der Zerstörung, sondern auch, weil er die Kulturen der Mächte, gegen die sich die USA und ihre Alliierten verbündet hatten, so aufrichtig bewunderte. Wäre dieser Krieg gegen Australien, Indonesien oder Belgisch Kongo geführt worden, hätte er zweifellos ebenso dagegen opponiert, doch so traf es ihn tiefer, ja es bekümmerte ihn derart, dass seine Stimme bebte und ihr Timbre verlor. Er blickte zu mir auf. Wir standen ein paar Schritte von der Tür zum Zeichenraum entfernt, außer Sichtweite der anderen. »Sie wissen ja, was das bedeutet, oder?«
    Ich hatte überhaupt nicht weitergedacht. Man mag mich naiv nennen, aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass mich die Amerikaner, in deren Mitte ich so lange gelebt und gearbeitet hatte, als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachten könnten. Oder - noch schlimmer - dass ich gezwungen sein würde, Taliesin zu verlassen, diesen einen Ort, der mir eine wirkliche Zuflucht und, mehr noch als Tokio, Heimat war und den Mann, der mir zu diesem Zeitpunkt so sehr ein Vater war wie mein Erzeuger. Ich war im Begriff, die Frage wie einen Staffelstab an ihn zurückzugeben: Nein, was bedeutet es denn?, als ich die Antwort in seinem Gesicht sah. Ich würde in die Verbannung geschickt werden. Ins Gefängnis.
    »Man wird Sie abholen kommen«, sagte er. »Und bei Gott«, fügte er mit flammendem Blick hinzu, »ich werde tun, was in meiner Macht steht, um diese Leute von hier fernzuhalten. Aber ich fürchte, letztlich wird es nichts nützen.«
    »Aber wäre es nicht möglich -?« wandte ich mit einer ausholenden Geste ein, die alles einschloss, was in diesem angedeuteten Bereich des Möglichen lag oder liegen sollte: dass man mich als den harmlosen Architekturschüler erkannte, der ich war, als begeisterten Anhänger Taliesins und Gefolgsmann von nur einem Herrn, und dass man
    mir, gegen jede Logik und Wahrscheinlichkeit, erlauben würde, zu bleiben und an dem großen Werk Wrieto-Sans, ja der Menschheit schlechthin mitzuwirken?
    Er nahm sich einen Moment Zeit. Ich hörte meine Mitschüler aufgeregt plappern. Krieg lag in der Luft, und Pearl Harbor, dieser Ort, den noch am Tag zuvor keiner von uns auf der Landkarte hätte lokalisieren können, beherrschte plötzlich unser Denken.
    »Vielleicht sollten Sie Kanada in Erwägung ziehen.«
    Ein Bild von diesem riesigen Polarland trat mir vor Augen - einem Land, in dem ich noch nie gewesen war, das mir aber wie ein ewig winterliches Wisconsin erschien, das sich von einem Ende des Kontinents zum anderen erstreckte -, und mein Zweifel muss sich wohl auf meinem Gesicht abgezeichnet haben.
    Da legte mir Wrieto-San die Hand auf die Schulter, eine Geste, die ich wegen ihrer spontanen Herzlichkeit immer in Erinnerung behalten werde, denn Wrieto-San war kein Mensch, der andere berührte, er hielt sich immer aufrecht, ganz korrekt, und respektierte das, was man heute als »persönlichen Raum« bezeichnet. »Wenn Sie irgend etwas brauchen«, sagte er, »egal was - sagen Sie mir Bescheid.« Er ließ die Hand sinken, schob sie tief in die Hosentasche, und dann drehte er sich um, ging mit großen Schritten in den Zeichenraum zurück und rief: »Großer Gott, hier kommt man sich ja vor wie in einem Kühlhaus. Kann denn keiner von Ihnen ein Feuer in Gang halten?«
    Am nächsten Tag kamen sie, obwohl es schneite und Taliesin in der frostigen Landschaft aufragte wie eine Arche, die in einem unbefahrbaren Meer festgefroren war. Zwei Männer vom Federal Bureau of Investigation, mit Dienstmarken und Gesichtern, so knallhart wie Stiefelabsätze. Ich hatte überlegt, ob ich mich im Stall verstecken oder Herbert oder Wes bitten sollte, für mich zu lügen und zu behaupten, ich sei nach Kalifornien geflohen, aber das wäre nicht ehrenhaft, sondern feige gewesen. Es hätte sie - und auch Wrieto-San - in die Sache hineingezogen, und das hätte ich nicht ertragen. Also stellte ich mich. Obwohl ich den

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