Die Frauen
Ruinenfeld, das sich wie in einer apokalyptischen Vision bis über den Horizont hinaus erstreckt -, bis ich den geballten Schmerz (Hiroshima! Nagasaki!) nicht mehr ertrug und mein Vater meinen Wechsel nach Paris arrangierte, wo ich zehn produktive Jahre bei der Firma Borchardt et fils verbrachte, für die ich im Krieg beschädigte Gebäude sanierte sowie zahlreiche Wohnungen, Stadthäuser und maisons du pays entwarf.
Ich erwähne meinen Aufenthalt in Paris nur insofern, als er mit Wrieto-Sans Geschichte im Zusammenhang steht, denn ihr, das muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, sollen diese einleitenden Bemerkungen schließlich gelten. Die Verbindung besteht im Tragischen, im beiderseitigen Erleiden eines schweren, kaum zu bewältigenden Verlustes, denn an diesem Punkt in Wrieto-Sans Geschichte, muss ich gestehen, stochern O’Flaherty-San und ich etwas im Nebel. Wrieto-Sans erste Begegnung mit Mamah Borthwick Cheney fand noch vor meiner Geburt statt, und als sich die Katastrophe zutrug, in der das Ganze endete, war ich gerade mal sieben Jahre alt. Natürlich ist dies nicht der Ort für Entschuldigungen, aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass O’Flaherty-San das Material nur auf einer abstrakten Ebene kennt, auch wenn er ein Meister der Imagination und literarischen Nachschöpfung ist - ich kann nur Gott oder den Parzen, oder wie immer man es nennen will, danken, dass er nie einen so schweren Verlust hat erleiden müssen, und ich hoffe, für ihn wie für meine Enkelin, dass ihm das auch künftig erspart bleiben wird.
Wrieto-San jedoch blieb es nicht erspart, und ich glaube, dass dieser Verlust das prägende Erlebnis in seinem Leben war, der tiefe Brunnen der Trauer, aus dem er all seine späteren Triumphe schöpfen musste. Daher, das sei zur Vorwarnung gesagt, wird der Grundton der folgenden Seiten notwendigerweise düsterer und nachdenklicher sein. Ich war damals nicht dabei. Ich lernte Wrieto-San erst achtzehn Jahre nach den Morden in Taliesin kennen. Und doch fand seine Tragödie auf eine so seltsame wie schreckliche Weise viele Jahre später in meinem eigenen Leben ein Echo, in dem brutalen Schicksalsschlag nämlich, der mich traf wie die Axt eines Wahnsinnigen, und so bin ich noch heute, zwanzig lange Jahre nachdem Wrieto-San aus dem Leben geschieden ist, mit Herz und Seele bei ihm.
Man stelle sich einen regnerischen Novemberabend vor, die in der Dämmerung grauen Straßen, die tausend honigfarbenen Lichter der Läden und Cafés entlang der Rue du Montparnasse, das zischende Geräusch der Autoreifen, die Traurigkeit des Himmels. Ich arbeite noch, beuge mich über eine dreifarbige Darstellung, über die mit weichem Bleistift gezogenen, elegant fließenden Linien, in Gedanken beim Abendessen, bei Setsuko, bei meinem kleinen Töchterchen, das im Nachbarzimmer schläft, und meinem Sohn Seiji, einem ruhigen Abend daheim, agedashi Tofu, soba, einer Schale Sake. Seiji ist vier Jahre alt. Er hätte gern eine Katze - ein Kätzchen -, aber die propriétaire erlaubt es nicht. Es sei denn, es springt etwas für sie dabei heraus. Und es wird etwas für sie herausspringen, dafür werde ich sorgen. Das denke ich, während meine Hände und Augen unabhängig von meinem Kopf im Zweidimensionalen das Dreidimensionale zum Leben erwecken - bis das Telefon klingelt. Dann verfinstert sich das Bild: eine junge Ehefrau in Clogs und Kimono, die durch den Regen läuft, um den Bus noch zu bekommen, eine Hand fest um die ihres Sohns geschlossen, mit der anderen einen Regenschirm über sich haltend, und ein Taxifahrer, der nach vin rouge stinkt und erst spät auf die Bremse tritt. Sehr spät. Zu spät.
Man möge mir vergeben, wenn meine Finger über diesen Seiten zittern, während ich versuche, diese Szene ein für allemal aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Ich möchte hier einfach nur etwas vermitteln, ein tiefes Wissen, dass mit der Schärfe einer Schwertklinge in meinem hara wühlt, und in gewisser Weise auch meine Zuständigkeit beweisen, so makaber das auch klingen mag. Ich habe gelitten. Wrieto-San hat gelitten. Wir haben alle gelitten. Auf seine ganz eigene Weise hat auch O’Flaherty-San gelitten. Aber ich kann Wrieto-San nicht an diesem Punkt verlassen, in diesem Beinhaus der Erinnerung - ich höre nach wie vor im Traum seine Stimme, verehre ihn, die Erinnerung an ihn und alles, was er mir gemäß seiner außerordentlichen Mathematik der Addition, der reinen Addition, gegeben hat. Deshalb möchte ich noch eine
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