Die Frauen
Gutes oder sonst irgend etwas. Sie war nur erleichtert. Mamah war fort. Die Bedrohung war vorüber. Und Edwin ... Sie musste sich von Edwin getrennt haben, das war die einzige Erklärung - die Geschichte mit der kranken Freundin war bloß eine Ausrede. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht stimmte sie ja. Jedenfalls - und dieser Gedanke richtete Kitty auf wie eine angenehm frische Brise, die von den leuchtenden Gipfeln der Rocky Mountains über die feuchten Weiten des Tieflands strich -, jedenfalls war Mamah nicht mehr da. Sollte sie doch in Colorado bleiben. Sollte sie doch Rancharbeitern die freie Liebe predigen und alle Ehemänner des Staates mit dem Lasso aus dem Sattel holen. Sollte sie doch Cowgirl werden. Sollte sie doch verdorren.
Dennoch war irgend etwas nicht ganz in Ordnung. Sie hatte sich mit Frank gestritten - er hatte gesagt, er werde Mamah niemals aufgeben, er wolle die Scheidung, denn ihre Ehe sei nichts als ein Betrug, ja schlimmer: eine Form von Sklaverei -, aber sie hatte nicht nachgegeben, und er lebte noch immer unter ihrem Dach und ging seiner Arbeit nach, auch wenn sein Lächeln erstorben war und er zehn Jahre älter aussah. Er trauerte, das war es. Um so schlimmer für ihn. Er würde darüber hinwegkommen. Und als treue Ehefrau würde sie ihn liebevoll und großmütig wieder in ihr Herz und ihr Bett aufnehmen, so dass er irgendwann wieder der alte sein und alles weitergehen würde wie zuvor.
Redete sie sich etwas ein? Eines Abends beim Essen verkündete er, dass er am nächsten Morgen geschäftlich nach Chicago fahren und ein paar Tage dort bleiben werde, und sie dachte sich nichts dabei. Ihr fiel nur auf, dass er einen Koffer und eine Reihe von Farbholzschnitten mitnahm, die er verkaufen wollte (konnte es sein, dass er endlich die Rechnung beim Lebensmittelhändler bezahlen wollte?), und sie wusste, dass die Union Station ein Knotenpunkt von Bahnlinien war, auf denen er überallhin fahren konnte - nach Westen, ja sogar nach Colorado. Aber das spielte keine Rolle. Er kam weiter herum als ein Handelsreisender. Die meiste Zeit war er ohnehin in Chicago, und außerdem fuhr er nach South Bend, Buffalo, Rochester, Madison, Mason City und jeden anderen Ort, wo es einen Auftraggeber gab. Er hatte sogar Pläne für ein Haus in Kalifornien gezeichnet.*
* Das George-C.-Stuart-Haus, 1909.
Ja, sie redete sich etwas ein. An jenem Morgen sah sie in seinem Gesicht nur ein Art Stumpfheit, und als er nicht anrief und kein Telegramm schickte, nicht einmal aus New York oder von Bord des Dampfers, der ihn über den Atlantik nach Deutschland brachte, begriff sie noch immer nicht. Es dämmerte ihr erst, als die Reporter an die Tür klopften, gefolgt vom Lebensmittelhändler, vom Schneider und vom Besitzer des Mietstalls.
Kapitel 2
AUF WIEDERSEHEN, MEINE KINDER
Anfangs vermochte Mamah nicht einmal den Kopf vom Kissen zu heben. Es war, als wäre sie vom Hals abwärts gelähmt, an die Matratze gefesselt wie eine jener zerlumpten, kreischenden Frauen im Irrenhaus, begraben unter einer Lawine, einem Felsrutsch auf den tiefsten Grund des Meeres gesunken. Selbst wenn das Haus plötzlich in Flammen aufgegangen wäre, hätte sie sich nicht rühren können, weder um ihr eigenes Leben zu retten noch das von John und Martha. Nach dem Lichteinfall zu schließen, musste es jetzt später Nachmittag sein, und sie hatte hier gelegen, seit die Sonne strahlend hinter dem Massiv der braunen Berge aufgegangen war und die gelben Blätter der Pappeln oder Espen oder was immer sie waren in der Brise gezittert und geflirrt hatten. Sie hatte geschlafen, hatte geträumt, war aufgewacht, und das hatte sich ständig wiederholt, und nichts hatte sich geändert. Julia* war tot und das Baby ebenfalls, und ihr selbst waren weder die blutigen Laken noch das verzweifelte, hektische Auf-undab-Gehen in der Stunde vor dem Morgengrauen oder der Ausdruck in den Augen des Arztes mit der Maske und dem unsichtbaren Mund erspart geblieben.
* Ein erfundener Name. Die wirkliche Identität dieser unglücklichen Frau ist nicht überliefert, obwohl eine Reise nach Boulder, Colorado, und eine Einsichtnahme in die Krankenhausunterlagen ihn vielleicht enthüllt hätten. Doch O 'Flaherty-San und ich fühlen uns wohl in Nagoya - wir streben lediglich nach einer gutrecherchierten Annäherung an die historischen Fakten. Siehe »Albert Bleutick«, Fußnote Seite 38.
Sie hörte das Haus knacken und ächzen, während die Sonne für einen
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