Die Frauen
Ellbogen, und er führte sie durch das Gedränge in einen Korridor und dann in eine Art Büro, einen Raum mit einem Schreibtisch und Büroschränken und einem Deckenventilator, und mit einem kleinen Schock wurde ihr bewusst, dass er diesen Raum für eine Stunde gemietet hatte, damit sie ungestört miteinander sprechen konnten. Aber warum? Warum hatte er keinen Koffer? Und warum war er nicht zu ihr in den Zug gestiegen?
Er schloss die Tür hinter ihr, und mit einemmal hatte sie Angst und war sicher, dass er sie verleugnen und eine Mauer aus Ausflüchten errichten würde, dass er sie verlassen würde, wie sie Edwin und ihre jetzt mutterlosen Kinder verlassen hatte. »Frank, was ist los?« wollte sie wissen, jetzt atemlos. Ihr Blut rauschte, angetrieben von der Chemie der Panik - in ihren Adern rann Jod, Säure, flüssiges Feuer. »Wo ist dein Koffer? Was ist los?«
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er und zog sie in seine Arme. Er küsste sie. Er presste sie so heftig an sich, dass sie kaum noch Luft bekam. »Ich brauche nur etwas mehr Zeit, das ist alles, zwei Tage, höchstens drei - um ... um Geld aufzutreiben. Du lieber Himmel, das kam alles so plötzlich ... «
Sie hielt ihn in den Armen, ihr Kinn lag auf seiner Schulter, und sein Geruch - sein Haar, seine Kleider, der Körper, den sie so gut kannte - wirkte wie ein Beruhigungsmittel. Sie vertraute ihm. Absolut. Er gehörte ihr, sie gehörte ihm.
Dennoch fuhr sie zurück. »Plötzlich? Wir sprechen jetzt seit über einem Jahr darüber.
Ich habe Edwin im Juni verlassen.«
»Dein Telegramm, meine ich. Ich war ... Seit ich dein Telegramm bekommen habe, bin ich pausenlos unterwegs gewesen, habe Farbholzschnitte verkauft und Auftraggeber um Vorschüsse gebeten, ich habe bei den Projekten, die ich in Arbeit habe, alles mögliche versucht, alles mögliche. Ich brauche nur mehr Zeit, das ist alles.«*
* Wrieto-Sans Verhalten kann man wohl kaum anders als unverantwortlich, vielleicht sogar als kriminell bezeichnen. Er schien stets ein angespanntes Verhältnis zu seinen Auftraggebern zu haben, vor denen er sich, wie er fand, auf eine fundamentale Art erniedrigen musste, um an die Mittel zu gelangen, die er brauchte, um seine Kunst auszuüben, und dass er sie ausnahm, indem er die Kosten überzog oder einen Vorschuss nach dem anderen verlangte, betrachtete er lediglich als sein gutes Recht. Unnötig zu erwähnen, dass er diese Leute und die entsprechenden Projekte, die er ohnehin nur durch einen Stellvertreter zum Abschluss bringen lassen wollte, sitzenließ. Nach dem Motto: Schnapp dir das Geld und hau ab.
Sie entspannte sich für einen Augenblick, doch dann verhärtete sie sich wieder. »Und was ist mit mir? Was soll ich tun?«
»Du fährst wie geplant nach New York. Ich kenne dort ein Hotel und habe Zimmer reserviert. Und ich habe für Freitag eine Passage für zwei auf der Deutschland gebucht. Mach dir keine Sorgen. Mach dir um nichts Sorgen - ich werde kommen, sobald ich kann. Brauchst du Geld?«
»Ja«, sagte sie, »ja, ich brauche Geld«, und die Bedeutung dieser Antwort hallte in ihren Ohren wider wie eine Schändlichkeit aus einem Schundroman. Was war sie nun - eine Frau, die ihre Gunst für Geld verkaufte?
»Hier«, sagte er und hielt ihr seine geöffnete Brieftasche hin. Sie küssten einander, bis sie seine harte Erregung spürte, bereit, in sie hineinzufahren, und dann setzte er sich mit ihr in das Zugabteil und hielt ihre Hand, bis der Schaffner rief und Frank ausstieg und winkend vor dem Fenster stand, während die Räder sich mit einem Ruck in Bewegung setzten und der Bahnhof hinter ihr zurückblieb.
Wenn es einen Augenblick gab, der sie für alles entschädigte, einen einzigen Augenblick, den sie mit einem Fotoapparat einfangen und zur Erinnerung in ein Album hätte kleben können, so den, als er durch die Tür des großen Zimmers hoch über dem strömenden, von der Sonne kupferrot gefärbten Wasser des Hudsons trat und sie ihn dort stehen sah, die Arme weit ausgebreitet, um sie an die Brust zu drücken. Drei Tage hatte er sie in jenem New Yorker Hotel warten lassen, und aus Furcht vor Entdeckung hatte sie den Raum kein einziges Mal verlassen. Sie war bedrückt gewesen. Die Kinder fehlten ihr. Sie schlief schlecht. Edwin musste inzwischen zurück in Oak Park sein und Alarm geschlagen haben - jedes Klatschweib, jedes Lästermaul der Stadt zählte zwei und zwei zusammen, und womöglich hatte er einen Detektiv auf sie angesetzt. Konnte es
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