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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ist vor ... Aber warum? Ist irgend etwas passiert?« »Nein«, sagte er, »nein, gar nichts«, und Catherine, die arme Catherine, sah sie mit einem Blick an, bei dem sie sich fühlte, als würde sie von Wilden, die sich Knochen durch die Nase gesteckt hatten, bei lebendigem Leibe gebraten. »Ich hatte nur gehofft« - und hier griff er in die Tasche, zog eine Zeitung, die Chicago Tribune, hervor und reichte sie ihr, als wäre es eine Bibel, auf die sie vereidigt werden sollte -, »Sie könnten das hier erklären.«
    Die Schlagzeile schrie sie an, stumme Buchstaben, schwarz auf weiß, die dennoch schrien, so durchdringend wie die Sirenen der Feuerwehr: ARCHITEKT WRIGHT MIT WEIBLICHER BEGLEITUNG IN BERLINER HOTEL. Und der Untertitel war noch lauter: Mrs. Cheney als Ehefrau ausgegeben.
    In diesem Augenblick läutete das Telefon. Am liebsten hätte sie die Zeitung auf den Boden oder ins Feuer geworfen und vor Wut und Hass geschrien, doch sie konnte sich gerade noch beherrschen. »Catherine«, sagte sie und bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten, »könntest du bitte ans Telefon gehen?« Sie sah ihrer Tochter nach, während diese in die Eingangshalle ging und den Hörer abnahm. Erst als Catherine den Raum verlassen hatte und außer Hörweite - und außer Gefahr - war, wandte Kitty sich wieder dem Reporter zu. Sie hob den Kopf und trat unwillkürlich einen Schritt zurück, so dass sie dem Kaminsims und der Inschrift WAHRHEIT IST LEBEN, die Frank darüber hatte anbringen lassen*, den Rücken kehrte, denn das, was sie nun sagen würde, war keineswegs die Wahrheit. »Ja, ja, er hat uns vergangene Woche geschrieben, dass es noch ein wenig länger dauern wird, bis er für den Wasmuth-Verlag in Berlin die Zeichnungen für sein Portfolio überarbeitet hat.«
     
    * Die ganze Inschrift, die in acht Zentimeter hohen Buchstaben unter diesem Wahlspruch stand, lautete:
    Liebe Freunde, an diesem Kamin sollt ihr über kein Wesen Böses sprechen. In seinen frühen Jahren hatte Wrieto-San als ausgeprägter Ästhet des 19. Jahrhunderts eine Vorliebe für solche aphoristische Mahnungen und antiquierte Dekorationen wie das klassische Fries in der Eingangshalle. Derlei gab er jedoch bald zugunsten des saubereren, modernen Stils auf, dessen Pionier er war. Und der, unnötig zu erwähnen, keiner verbalen Verstärkung bedurfte.
     
    Sie holte Luft. Der Mann kritzelte etwas auf seinen Block: unvergängliche Worte, ihre offizielle Stellungnahme, ihre Aussage. Doch sie war noch nicht fertig. »Aber es hat offenbar einen Irrtum gegeben«, fuhr sie fort, »denn Mrs. Cheney - sie ist eine Auftraggeberin, müssen Sie wissen -, Mrs. Cheney ist in Colorado.«
    Zwei Tage später - das Telefon läutete ununterbrochen, so dass sie den Stecker herausziehen musste, um nicht verrückt zu werden, und die Kinder schlichen herum, als wären sie geschlagen worden und hätten Angst, sich in ihrem eigenen Haus zu zeigen, ebenso blass und niedergeschlagen und gedemütigt, wie sie selbst sich fühlte - erklärte sie sich einverstanden, die Reporter zu empfangen, und sei es nur, um die Belagerung zu beenden. Sie waren überall, so allgegenwärtig wie Fliegen. Sie schwärmten über das Grundstück, ganz gleich, wie oft sie das Dienstmädchen hinausschickte, um ihnen zu sagen, sie sollten verschwinden - wenn sie vom Herd aufblickte, sah sie auf der Straße einen wildfremden, gestikulierenden Mann, wenn sie ins Wohnzimmer ging, starrte sie in das Gesicht eines Reporters, der im Blumenbeet stand, einen Notizblock schwenkte und sie irgend etwas Unverständliches fragte. Sie spähten durch die Fenster und läuteten Tag und Nacht an der Tür, bis sie dachte, sie würde auch die Türglocke abstellen müssen, um das Summen in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen.
    Sie hatte ihren Kindergarten geschlossen und ihre eigenen Kinder vorläufig vom Schulunterricht befreit, um sie zu schonen - und das war das Grausamste. Sie fand den Gedanken, dass ihre Kinder durch diese Sache beschmutzt waren, unerträglich.
    Wie hatte er ihnen das antun können? Wie konnte er nur so egoistisch sein? Die zwölfjährige Frances war in Tränen aufgelöst: Die Klasse sollte »Hiawatha« mit verteilten Rollen sprechen, und die Lehrerin hatte gesagt, jeder Schüler, jede Schülerin, ganz gleich, wie schüchtern oder unsicher, müsse anwesend sein und seinen oder ihren Text gelernt haben, sonst werde die ganze Gruppe bestraft. »Aber Mama, ich muss in die Schule«, beharrte sie. »Ich bin doch

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