Die Frauen
Augen leuchteten. »Ich habe sie kennengelernt. Und sie ist die erstaunlichste ... Habe ich dir erzählt, dass sie mich ihre amerikanische Tochter nennt? Kannst du dir das vorstellen?«
Bei seiner Ankunft war die Abenddämmerung hereingebrochen. Unter dem Winterhimmel wirkte die graue Stadt noch grauer, und nach und nach kroch die Dunkelheit in den Raum, bis Mamah aufstehen und die Lampen einschalten musste. Dann setzte sie sich neben ihn auf die Couch und nahm seine Hand, und sie sprachen von Belanglosigkeiten, erzählten einander, was in der Zwischenzeit passiert war, und sparten den ganzen Rest aus. Die freie Liebe war ihm angenehm gewesen, zweifellos, aber das galt gewiss auch für andere Männer, für irgendeinen Lothar oder Henning oder Heinrich.
Sie lachte ihr volles Lachen, als er von seiner Mutter und ihrer nicht enden wollenden Fehde mit Kitty und Kittys Mutter und sogar ihrer Großmutter erzählte, sie warf den Kopf in den Nacken und verdrehte vor Freude die Augen, und dann sagte er: »Du hast doch nicht jemand anders kennengelernt, oder?«
Sie bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Wovon redest du? Kennengelernt? Wen soll ich kennengelernt haben? Ich gehe in die Bibliothek und wieder nach Hause, ich spreche mit meinen Schülern, mit Frau Eisermann, der Dame am Empfang - hast du sie bemerkt? Die kleine Frau mit dem Schnurrbart?«
»Das habe ich nicht gemeint. Ich meinte -«
»Männer?«
»Nein«, sagte er, »nein. Es war nur so eine Frage. Nach deinem gesellschaftlichen Leben. Du musst einsam sein. Ich mache mir Sorgen um dich.«
Wie um ihn besser mustern zu können, lehnte sie sich ein wenig zurück. »Ich habe kein gesellschaftliches Leben.« Er sah zu, wie sie ihr Weinglas an den Mund hob, einen Schluck der blassgelben Flüssigkeit trank - es sei ein Johannisberger, hatte sie gesagt, ein besonderer Wein für eine besondere Gelegenheit, obwohl er sich aus Wein nichts machte - und das Glas wieder abstellte. »Ich warte auf meine Scheidung, wenn du das meinst«, sagte sie und betonte dabei jedes Wort. »Und auf dich.« Sie sah ihn unverwandt an. »Nur auf dich.«*
* Edwin hatte die Scheidung wegen böswilligen Verlassens eingereicht. Das Gesetz des Staates Illinois verlangte eine zweijährige Trennung, bevor die Scheidung ausgesprochen werden konnte. Da Kitty sich weigerte, in eine Scheidung von Wrieto-San einzuwilligen, glaubte Mamah wohl, sie habe keine andere Wahl, als in Europa zu bleiben, weit entfernt von der Neugier der amerikanischen Presse. Allerdings auch weit entfernt von ihrem Geliebten. Und ihren Kindern. Und ihrem übrigen Leben.
»Ich will nicht, dass du wartest, jedenfalls nicht hier.« Er beugte sich vor. Jetzt war der Augenblick für eine Beteuerung, für einen Kuss, doch er hielt sich zurück. »Ich will, dass du nach Hause kommst. So bald wie möglich.«
Ihr Lächeln war schmal und hatte einen Hauch von Bitterkeit. Sie senkte die Stimme. »Hast du meine Kinder gesehen?«
»Nein. Ich bringe es nicht einmal über mich, durch die Straße zu fahren, in der -«
»Sie beantworten meine Briefe nicht. Dahinter steckt Edwin. Er hat sie gegen mich aufgebracht. Ich bin mir ganz sicher.« Ihr Blick ging ins Leere und kehrte dann zu ihm zurück. »Und wohin soll ich gehen, wenn ich zurückkehre? Ich kann ... ich werde nie wieder nach Oak Park gehen, das schwöre ich.«
»Ich habe mich darum gekümmert«, hörte er sich sagen, und mit einemmal war alles in Ordnung: Es war ein bauliches Problem, das durch Entwürfe, Pläne und Materialien zu lösen war. »Du erinnerst dich an den Hügel in Wisconsin? Er gehört uns.
Zweihundert Morgen, unbebaut und ungenutzt. Ich baue ein Haus für dich - ein Haus, das alles, was ich bisher gebaut habe, in den Schatten stellen wird. Etwas Neues, etwas vollkommen Neues.«
»Sie fehlen mir. Besonders die Kleine - Martha. Ich frage mich immer wieder, was sie wohl über mich denken. Dass ich in einem Gefängnis bin? Dass ich tot bin? Dass ich sie nicht mehr liebe?«
Er hatte die Lösung, die Lösung für alles. »Bring sie nach Hillside. Wann immer du willst.«
»Edwin würde es nicht zulassen. Niemals. Lieber würde er sterben. Ich kenne ihn.«
»In den Ferien. In den Sommerferien. Es wird ihnen dort gefallen - und dir auch.«
Es trat Schweigen ein. Niemand fuhr irgendwohin. Alles befand sich im Stillstand, und dieser legte sich lastend über den Augenblick und ihr Wiedersehen. Wieder fühlte er sich ganz verlassen. Die zweiwöchige
Weitere Kostenlose Bücher