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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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entgegenbrachte. Doch in jenen längst vergangenen Tagen war der Beruf des Journalisten höchst angesehen, und das Recht der Öffentlichkeit auf Information wog offenbar schwerer als das uramerikanische Recht auf Wahrung der Privatsphäre. Dennoch kann ich nicht verstehen, warum Wrieto-San dem Reporter nicht einen beherzten Tritt in den Hintern gab und das Telefonkabel aus der Wand riss. Hätte es ihm irgendjemand verdenken können?
     
    Am Weihnachtstag standen sie früh auf, schürten die Kaminfeuer, fegten die Teppiche und staubten die Statuen ab. Mamah machte das Frühstück selbst, auch wenn ihr die Kunst des Kochens ein Buch mit sieben Siegeln war (Spiegeleier mit Speck und Bratkartoffeln - die Eier waren zerlaufen, der Speck steinhart und die Kartoffeln schwarz verbrannt), und als um acht die Köchin kam, half sie ihr, den Teig für drei Pasteten auszurollen und buk dann, streng nach Rezept, zwei Bleche Rosinenplätzchen.
    Sie hatten ihre Bescherung bei Tagesanbruch gehabt, es war ein schlichter Austausch von Geschenken unter dem Weihnachtsbaum gewesen - eine Brosche aus Jade und Platin für sie, ein Hut und ein Schal für ihn. Zwar war das - ihr erstes Weihnachtsfest in ihrem neuen Haus - nicht bloß eine Pflichtübung gewesen, doch schon kaum eine Stunde später waren sie bei der Arbeit. Frank verbrachte den halben Morgen damit, das Wohnzimmer ein ums andere Mal umzudekorieren. Zweimal stapfte er draußen durch den Schnee, um noch einen Tannen- oder Stechpalmenzweig abzuschneiden, und er war äußerst angespannt, das sah sie. Er eilte von einem Raum zum anderen, und jedesmal, wenn er im Geschwindschritt durch die Küche kam, blaffte er sie beinahe an. Er war ein Perfektionist, das wusste sie - es war eine der Eigenschaften, die sie an ihm liebte: Es zeugte von seiner künstlerischen Sensibilität -, doch es gab Zeiten, da trieb er es ein wenig zu weit. Zum Beispiel an diesem Morgen. Und das machte es für sie nur um so schwerer. Und dann war da noch die Frage, was sie anziehen sollten. Frank entschied sich schließlich für eine Kombination, die einem auf dem Land lebenden Gentleman angemessen war: ein Tweedjackett mit passender Kniehose, dazu eine Künstlerkrawatte und dicke Wollstrümpfe. Mamah wählte eine schlichte bestickte Bluse in einem hellen Beigeton und einen etwas dunkleren Rock; sie wollte natürlich modisch gekleidet sein, aber auch adrett. Nüchtern. Entspannt. Die charmante Gastgeberin in ihrem Heim.
    Die ersten Reporter kamen um kurz vor elf in einem leichten Pferdewagen vom Bahnhof in Spring Green, und sie versuchte, es ihnen gemütlich zu machen. Frank ging auf und ab, das Feuer im Kamin knisterte und flackerte, und die Felder vor den Fenstern waren verschneit. Zwei weitere Journalisten erschienen etwas später; sie rutschten auf der Landstraße wie Schlittschuhläufer und arbeiteten sich unbeholfen und vorsichtig die glatte Zufahrt hinauf. Mamah servierte Plätzchen und frisch gebrühten Kaffee und erkundigte sich nach ihren Familien - sie mussten den Weihnachtsmorgen fern von ihren Lieben verbringen, aber so war es eben, wenn die Pflicht rief, nicht? Binnen kurzem waren sie vollzählig: acht Männer unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Temperaments, und alle prägten sich die Details ein, die sie an ihren Schreibtischen in Chicago, Madison und Spring Green aus dem Gedächtnis würden wiedergeben müssen.
    Als alle versammelt waren und bequem saßen, bat Frank, der, während Mamah die Gastgeberin gespielt und die erlesene Schönheit des Raums seine Wirkung getan hatte, auf seine übliche charmante Art über einige seiner Kunstwerke gesprochen hatte, um ihre Aufmerksamkeit und verlas mit seiner schönen, klaren Stimme eine vorbereitete Erklärung. Es war keine Rechtfertigung, sondern eine wohldurchdachte und klar formulierte Erläuterung ihrer Prinzipien, die Ellen Keys Gedanken auf sehr praktische Weise als einen Weg zu wahrhaftem Leben und Lieben darlegte. Sie hatten am Abend zuvor gemeinsam ein halbes Dutzend Entwürfe ausgearbeitet, der Heiligabend hatte sich in einer Fuge aus Diktion, Syntax und revolutionärer Rhetorik aufgelöst - er konnte hervorragend formulieren und hätte einen beeindruckenden Politiker abgegeben -, und sie waren übereingekommen, dass er für sie beide sprechen sollte und dass das, was sie zu sagen hatten, allen Gerüchten und Spekulationen ein für allemal ein Ende bereiten würde. Sie stand neben ihm, beobachtete die Gesichter der Reporter und war so

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