Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
fühlte sie sich, als hätte jemand sie geschlagen. »Wir wollen sie in den Sommerferien hierher nach Taliesin holen. Für einen Monat, mindestens einen Monat. Ist es nicht so, Mamah?«
    Das Atmen fiel ihr mit einemmal schwer, aber es gelang ihr, eine bestätigende Antwort zu geben, doch noch während sie das tat, sah sie, dass jeder Mann im Raum sie so kalt musterte wie eine Tote im Leichenschauhaus, an der gleich eine Autopsie vorgenommen werden würde.
    Sobald sie gegangen waren, zog Frank sich in sein Studio zurück, während sie Zuflucht in der Küche suchte und sich mit der Köchin daranmachte, die Gans zuzubereiten, dazu die Soße, die Füllung, Nachtisch und Beilagen. Sie war entschlossen, trotz des morgendlichen Desasters den Weihnachtstag zu feiern. Und ein Desaster war es gewesen, daran hatte sie keinen Zweifel. Um fünf Uhr ließ sie die Köchin heimgehen, damit sie mit ihrer eigenen Familie feiern konnte, und übernahm den Rest der Arbeit selbst. Sie war froh, etwas zu tun zu haben, froh, sich ablenken zu können und nicht daran denken zu müssen, dass die Männer sie angesehen hatten wie eine Frau mit einem Herz aus Stein. Oder, schlimmer noch, wie eine Angehörige einer anderen Spezies: die Mutter, die keinerlei Gefühle für ihre Kinder aufzubringen schien, nicht einmal am heiligsten Tag des Jahres. Sie reagierte ihren Ärger am Hackklotz, an den Messern und den anderen Küchengerätschaften ab. Sie spülte und hackte und stampfte, stach die Gans mit Nadeln und übergoss sie mit Wein und tat ihr Bestes, das Gemüse zu schmoren, ohne es anbrennen zu lassen, und als man sich zum Essen, zum Weihnachtsessen, setzte (sie waren zu zwölft: die Porters und ihre Kinder, Franks Mutter, ein paar Arbeiter und ein Ehepaar aus Chicago - die beiden schienen die einzigen von Franks Freunden zu sein, die unter den gegebenen Umständen noch etwas mit ihm zu tun haben wollten), bemühte sie sich nach Kräften, ausgeglichen und freundlich zu sein und alles mit einem Lachen zu überspielen, aber dennoch war es das schlimmste Weihnachtsfest, das sie je erlebt hatte.
    Sie verbrachte eine schlaflose Nacht. Ihr graute vor dem, was kommen würde: Es war dumm gewesen, sich an die Presse zu wenden, sie war eine Idiotin, eine Träumerin, sie hätte sich im Keller verstecken oder ihnen Gift in den Kaffee geben sollen. Frank dagegen war so gelassen und in seinem Künstlertum ruhend wie immer und schnarchte auf seine spezifische Art: Es klang, als stürzte eine große Menge Wasser in eine Grube und stiege dann an, um einen durch eine Pikkoloflöte atmenden Mann zu ersticken. Am nächsten Tag brachten die Zeitungen ausführliche Artikel, und es war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Die Weekly Home News aus Spring Green war außer sich und bezeichnete Frank und sie als »eine Bedrohung für die Moral einer jeden Gemeinschaft und eine Beleidigung für jede Familie«, und der Tribune gelang, angefangen bei den anzüglichen Anführungszeichen in der Überschrift - WEIHNACHTLICHE »RECHTFERTIGUNG« EINER »FLUCHT MIT SEELENVERWANDTER*« -,eine Mischung aus selbstgerechter Empörung und unverhohlenem Spott. Man hieltsie für lächerlich. Aufgeblasen. Selbstsüchtig.
    Ja, schlimmer noch: Man hielt sie für lieblose, verantwortungslose Eltern.
     
    * Eine unglückliche Formulierung, die von Wrieto-San selbst stammte - er hatte sie ein Jahr zuvor benutzt, in dem Versuch, seine Flucht nach Deutschland zu rechtfertigen. Im Hinblick auf die fortgesetzten, sich steigernden Katastrophen von Wrieto-Sans Pressekonferenzen trifft das japanische Sprichwort zu: Nakitsura ni hachi, was in etwa bedeutet: Ein Unglück kommt selten allein.
     
    Am Tag darauf wurde es noch übler.
    Sie hatte seit dem frühen Morgen an ihrer Übersetzung gearbeitet, so intensiv, dass sie das Mittagessen hatte ausfallen und das Kaminfeuer beinahe ganz herunterbrennen lassen. Frank trat ein, ihre Schlittschuhe in der Hand. »Genug gearbeitet für heute«, verkündete er. »Zeit für ein bisschen Körperertüchtigung, etwas Handfesteres, hm?
    Wie wär’s mit Schlittschuhlaufen? Was meinst du?«
    Sie brauchte keine zehn Minuten, um sich warm anzuziehen, und dann waren sie zur Tür hinaus und gingen mit knirschenden Schritten auf dem Pfad, den Billy Weston freigeschaufelt hatte, durch den Innenhof. Es war ganz still, die Luft roch frisch und wie neu, das Haus mit den ausladenden Dachvorsprüngen war so gemütlich wie ein Chalet in Kitzbühel. Gekräuselter Rauch stieg aus

Weitere Kostenlose Bücher