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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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eigene Fuhrwerk, und ihr war vor allem daran gelegen, anonym zu bleiben. Eine gewöhnliche Frau in gewöhnlichen Kleidern, eingemummt gegen die Kälte, eine Frau, die im Hotel Tee trank und in den Geschäften nach Weihnachtsgeschenken suchte. Kaum war sie aus dem Wagen gestiegen, da bewegten sich die Vorhänge im Haus gegenüber, und als sie drei Blocks gelaufen war und vor dem Gemischtwarenladen stand, drehten sich alle auf der Straße nach ihr um. Sie kaufte einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen für John, denn sie dachte, er könnte in Oak Park üben und im kommenden Sommer auf den Felder rings um Taliesin vielleicht kleine Tiere jagen - Kaninchen oder Taschenratten. Für Martha einen Malkasten und eine Staffelei, um sie zum Malen zu ermuntern - sie schien Talent zu haben, selbst Frank sagte das. Das war also gut. Es war ein auf seine Weise angenehmer Einkauf. Aber die Frau, die sie bediente, biss die Zähne zusammen, als hätte sie einen Tic, und sah ihr kein einziges Mal in die Augen. Sie plauderte nicht und gab sich nicht einmal den Anschein von Höflichkeit. Und als Mamah im Hotel Tee trank und ein Sandwich aß, wobei sie sich abseits von allen anderen hielt, gab es Geflüster und verstohlene Blicke, und jedesmal wenn sie den Kopf hob, schien irgend jemand sie anzustarren.
    Frank gegenüber erwähnte sie es nicht - kein Grund, ihn mit Nichtigkeiten zu behelligen. Doch das Erlebnis machte sie entschlossener denn je, ihre Arbeit voranzutreiben. Die Welt brauchte Ellen Key dringender denn je - nicht nur diese engstirnigen Farmer und ihre prüden Frauen, sondern die Welt insgesamt. Die Menschen und besonders die Frauen mussten lernen, selbständig zu denken, anstatt blind dem Diktat einer patriarchalischen Gesellschaft zu folgen, die ihnen nicht nur das Wahlrecht vorenthielt, sondern auch das Recht, auf ihre eigene, instinktive Weise zu lieben. Sie hatte eine flüchtige Phantasie, in der sie eine Art Jungfrau von Orleans der Erotoplastik war, ein schimmerndes Schwert schwang und sie alle zurechtstutzte, und dann wandte sie sich, obwohl sie müde und das Haus so kalt wie ein Iglu war, wieder dem Buch auf ihrem Schoß zu. Und da stand es, vor ihren Augen, in Ellen Keys Muttersprache: Till älska - Für die Liebe. Für die Liebe. Es gab kein höheres Ziel im Leben, keine höhere Pflicht - warum verstanden sie das nicht? Sie wollte gerade nach dem Stift greifen, um es niederzuschreiben - im Haus war es still, vor den Fenstern türmte sich der Schnee, und Ellen Key war auf ihren Lippen -, als sie von der Tür, die auf den Hof führte, Franks ärgerlich erhobene Stimme hörte. »Nein«, sagte er, »nein, ist sie nicht.«
    Jemand stampfte auf, klopfte sich im Vorraum den Schnee von den Stiefeln. Dann die Stimme eines Mannes, eines Fremden, klar und deutlich: »Aber stimmt es denn nicht, dass sie hier lebt? Es gibt Gerüchte - nein, mehr als Gerüchte, es gibt Augenzeugen, die sagen, dass sie hier ist. Erst gestern -«
    »Das geht Sie nichts an. Das geht niemanden etwas an.«
    »Wollen Sie es nicht wenigstens bestätigen oder dementieren?« »Ich sage kein Wort.«
    »Aber es ist eine Tatsache, dass Mrs. Cheney jetzt hier, unter diesem Dach lebt, nicht?«
    Ein plötzliches durchdringendes Quietschen, als die Tür ganz geöffnet wurde, und Franks feste Stimme, die es übertönte. »Es tut mir leid«, sagte er in bedauerndem Ton, »dass Sie den ganzen weiten Weg umsonst gemacht haben, aber ich muss Sie daran erinnern, dass ich Sie nicht eingeladen habe, und kann Sie leider nicht hereinbitten.
    Ich hoffe, bei diesem herrlichen Winterwetter finden Sie den Weg in die Stadt allein. Weihnachtlich, nicht? Ein richtiges Weihnachtsmärchenwetter.«
    »Kann ich Sie denn gar nicht bewegen -«
    »Ich sage kein Wort.«
    Dann fiel die Tür ins Schloss, und sie hörte Schritte: Das war Frank, das rhythmische Klacken seiner hohen Absätze verriet ihn. Sie legte die Arbeit beiseite und erhob sich aus dem Sessel, als er ins Zimmer trat und gewohnheitsmäßig nach dem Schürhaken griff, um die Scheite im Kamin zurechtzurücken, obwohl sie den ganzen Nachmittag über Holz nachgelegt und das Feuer versorgt hatte. »Hast du diesen Unsinn gehört?« fragte er sie über seine Schulter.
    Sie wusste nicht, warum sie so erregt war. Mit einemmal fühlte sie sich einsam und verlassen, erfüllt von einem Kummer, der an ihrer Seele nagte: Julia war tot, die Kinder waren ihr entfremdet, ihre Ehe war geschieden - und wofür? Für diesen Akt der

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