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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gekommen sind, Sie alter Lüstling!« rief er. Sein Gesicht war gerötet, und in seinen Augen war Hass. »Mitsamt Ihrer Konkebine!« Alles löste sich in Luft auf, alle Freude, die sie über die schlichte Schönheit des Tages empfunden hatte, und auch all ihre Hoffnungen, und obwohl Frank den Mann verfluchte und sie stehenließ, um ihm, nun seinerseits von Wut erfüllt, nachzujagen, gelang es ihm nicht, ihn einzuholen: Der Mann blieb vor ihm, immer gerade außer Reichweite, und erwies sich als weit geübterer Schlittschuhläufer. »Lüstling, Lüstling!« klang es über das Eis, bis das Feuer heruntergebrannt und das Ufer menschenleer war und auch die beiden Jungen und ihr Hund zur Straße gingen und verschwanden.
    Als sie und Frank zurückkehrten - er hatte darauf bestanden, so lange Schlittschuh zu fahren, bis er genug hatte, nur sie beide und der Mann mit dem finsteren Gesicht -, erwartete Billy Weston sie bereits und sah aus wie sieben Tage Regenwetter. Er hatte die Zeitung in der Hand und legte sie auf den Küchentisch, damit sie die Schlagzeile sehen konnten, die lautete: SHERIFF SOLL HELFEN, WRIGHT ZU VERTREIBEN. Und obwohl sie versuchte, die Worte zu ignorieren und das Gefühl wiederzubeleben, dass sie gehabt hatte, als sie mit Frank durch den Wald gegangen war, nahm sie die Zeitung doch mit ins Schlafzimmer, um sie zu lesen und sich bestätigen zu lassen, was sie bereits wusste: Die ganze Gemeinschaft erhob sich gegen sie. Schlimmer noch:
    Man forderte den Sheriff auf, sie und Frank wegen unsittlichen Verhaltens zu verhaften. Gott im Himmel - unsittliches Verhalten. Es war wie im Mittelalter. Oder wie in Salem.
    Es war wie die Hexenjagd in Salem.
    Sie war am Boden zerstört. Sie saß im Sessel am Fenster, eine Decke bis zum Kinn hochgezogen, und starrte auf dieses Provinzblatt, bis die Buchstaben keinen Sinn mehr ergaben. Das Haus ächzte und tickte. Der Wind blies durch die Ritzen zwischen den Dielen. Es war kalt, so kalt, das Feuer war nicht mehr als ein dunkles Glühen vor den geschwärzten Steinen des Kamins, und der Heizkessel im Keller nützte so wenig, dass er ebensogut in einem anderen Land hätte stehen können.
    Soviel also zu Ellen Key. Soviel zum Thema aufgeklärte Zeiten. An jenem Abend gingen sie und Frank früh zu Bett und lauschten auf etwaige Schritte im Innenhof. Zum zweitenmal hintereinander fand sie keinen Schlaf. Sie lag stundenlang wach und starrte ins Dunkel. Sie dachte an den Mann auf dem Eis, sie sah ihn vor sich, den verzerrten Mund, den brennenden Hass in seinen Augen. Schließlich, als der Morgen graute, fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Keine Rückenmassage. Nicht in dieser Nacht. Und auch nicht in vielen, die noch kommen sollten.
    Der Sheriff erschien dann aber doch nicht, um sie zu verhaften.* Es kam auch niemand anders. Der Winter kroch dahin. Taliesin verschmolz mit seinem Entwurf und wuchs darüber hinaus, und Mamah war nach wie vor produktiv und lebte zurückgezogen. Sie gab es auf, Zeitungsartikel, die ja letztlich komplexe Motive und Zielsetzungen verfolgten, zu lesen, und schwor, die Straßenseite zu wechseln, sollte sie jemals wieder einen Journalisten sehen. Was die Leute in Spring Green betraf, so zog sie sich auch von ihnen zurück. Sie verließ Taliesin kaum noch, nicht einmal, um zum Markt zu fahren. Wenn diese Menschen noch nicht reif waren für fortschrittliche Ideen, wenn sie sich berufen sahen, sie in der örtlichen Zeitung zu beleidigen und von den Kanzeln herab gegen sie zu wettern - nun, um so schlimmer für sie. Sie waren ja diejenigen, die sich der Angst und der Dummheit ergaben, und ihr blieb nicht viel anderes übrig, als ihre Arbeit fortzusetzen und Ellen Key für sich selbst sprechen zu lassen, in einer möglichst texttreuen und genauen Übersetzung.
     
    * Es handelte sich um ebenjenen äußerst zurückhaltenden Sheriff von Iowa County, W. R. Pengally, den Miriam später mit denselben Anschuldigungen zum Einschreiten veranlassen wollte. Erfolglos, wie man gesehen hat. Könnte es sein, dass diese Amtsperson sich weigerte, fein abgestufte moralische Urteile darüber zu fällen, wer mit wem schlief? Oder wollte er bloß weitere Unruhe vermeiden? In dem Zeitungsartikel, den O 'Flaherty-San und ich eingesehen haben, wird er mit den - wie ich finde, ziemlich komischen - Worten zitiert: »Ich hab ihnen gesagt, dass ich mein Bestes tun werde, um jeden Versuch, die beiden zu teeren und zu federn, zu verhindern.«
     
    Als das neue Jahr anbrach und

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