Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Sympathie und Hoffnung ausdrücken sollte, diesem Gesicht, das er hasste, weil es ihn wieder zu einem mickrigen, schwächlichen kleinen Jungen machte, wehrte er sie ab. »Ich komm schon zurecht, Frau. Ich brauche deine Hilfe nicht. Geh da rüber zum Wagen und steig ein und sieh zu, ob du den Schirm aufkriegst.« Mehr sagte er nicht, eine simple Anweisung, doch in seiner Stimme lag jener Unterton erwachender Wut, den sie sogleich erkannte. Sie beeilte sich, in den Wagen zu steigen, und damit war das erledigt.
    Und mit was war dieser Spülwasser-Mann gekommen, um sie abzuholen, wo doch jeder Idiot sehen konnte, dass es wie aus Kübeln schütten würde? Mit einem offenen Wagen, gezogen von zwei braunen Pferdchen, die so verwöhnt wie Schoßhündchen aussahen. Einem Pferdewagen, als wären sie noch im 19. Jahrhundert, und dabei hatte er Gertrude gesagt, sie würden sich verbessern, wenn sie für diesen reichen Mann auf dem Land arbeiten würden. Er hatte genug gehabt von Chicago, wo die Schwarzen sich benahmen, als wären sie noch immer Sklaven, und die Weißen so dumm und knickrig und ungehobelt waren, wie es nur Tschechen und Polen und diese blöden, teiggesichtigen Iren sein konnten. Das Leben auf dem Land. Danach hatte er sich gesehnt, und dabei hatte er an seine Heimat gedacht, an die Insel, wo man sich wenigstens im Zuckerrohr verkriechen und mit dem Himmel sprechen konnte, wenn es sein musste.
    Aber hier war es anders, das hatte er schon gemerkt, bevor er aus dem Zug gestiegen war und den großen Koffer und die Reisetasche in den Wagen geladen, sich neben den Spülwasser-Mann gesetzt und zugesehen hatte, wie die hübschen Pferdchen sich ins Zeug legten. Dieses Land war extrem. Wild. Man hatte versucht, es mit Maultieren, Pflügen und Äxten zu zähmen, doch es war ein Höllenpfuhl voller Bäume und Hügel, die sich erstreckten, so weit das Auge reichte, wo Bären herumstreiften und Wölfe heulten und in den dunkelsten Stunden der Nacht die Geister der Indianer murmelten.
    Und wo das einzige schwarze Gesicht außer dem von Gertrude das sein würde, das er sah, wenn er in den Spiegel blickte, und er blickte nie in den Spiegel, denn das, was er dort sah, gefiel ihm nicht besonders.
    So fuhren sie in einem Regen, der auf den nur ungenügend schützenden Schirm klopfte, prasselte und zischte, die Straße entlang, vorbei an blutroten Scheunen und bestellten Feldern, über eine Brücke, unter der sich ein Fluss breitete wie ein Mutterschoß, und geradewegs hinein in den Gestank nach Schweinen. Er sah es vor Gertrude: eine Ansammlung schmutziger Schuppen und ein kleines Holzhaus, davor einen Mann, der im strömenden Regen versuchte, mit einer Schaufel eine Rinne zu graben, damit die bräunliche Jauche der Tiere im Pferch abfließen konnte. Er war zutiefst enttäuscht, als der Spülwasser-Mann an den Zügeln zog und sie auf den Hof einbogen. »Ist es das?« hörte er sich sagen. Er wandte nicht den Kopf, um den Spülwasser-Mann anzusehen, sondern ließ die Worte einfach aus dem Mund tropfen wie etwas, das zu verlieren er sich fürchtete.
    Die Schweine streckten ihre schlammverkrusteten Rüssel durch den Bretterzaun, der Gestank war infernalisch, Gertrude blickte sorgenvoll und bemühte sich, die Luft anzuhalten, und der Spülwasser-Mann stieß ein Lachen aus. Ein Lachen. Als wäre das alles irgendwie komisch. »Nein«, sagte er, »nein, das ist Reiders Farm.« Und dann zeigte er durch das Geäst der Bäume auf den Hügel, und da war es, das größte Haus der Welt, das aus der Hügelflanke kroch wie ein verwundetes Tier, wie der Schwanz eines großen goldenen Drachen, und dann fuhren sie holpernd durch Wagenspuren, und das Haus schien sich auf sie zu stürzen, und Julian stieg vom Wagen in den brodelnden Matsch rings um die Steinplatten des Hofs, so dass der Glanz seiner neuen Lederschuhe dahin war, während sein bester Anzug den Regen aufsog und an den Beinen klebte und schwer und formlos auf seinen Schultern lag.
    »He, Billy!« Eine Stimme drang aus dem Schatten einer geöffneten Stalltür auf sie ein, und er sah den Mann, dem sie gehörte, und zugleich das Automobil, ein schönes, teures Ding, das vor dem Regen geschützt dastand und genau dieselbe Farbe hatte wie eine Bootsladung Bananen. Der Mann war groß, er hatte breite Schultern, eine Taille, so schmal wie die eines Mädchens, und die vollen Lippen und feuchten Augen eines sinnlichen Menschen. Er war vielleicht dreißig, auf keinen Fall älter. »Mrs. Borthwick

Weitere Kostenlose Bücher