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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Frau.
    Es waren keine fünfzehn Minuten vergangen, da klopfte es an der Tür, und draußen stand der Spülwasser-Mann und wollte sie durch das Labyrinth des Hauses zur Audienz bei der Hausherrin führen. Gertrude hielt die ganze Zeit die Augen niedergeschlagen.
    Sie hatte ihr bestes Kleid und die weiße Schürze angezogen, die neben dem Jackett gehangen hatte, und sie spitzte die Lippen auf diese besondere Art, die sie aussehen ließ wie ein Äffchen und verriet, dass sie nervös war. Er zischte ihr »Äffchen, Äffchen« zu, bis sie ihn mit einem scharfen Blick ansah. Sie gingen wieder hinaus in den Regen, quer über den Hof, hüpften von einer Steinplatte zur anderen, um nicht in den Schlamm zu treten - Kühe muhten, man konnte sie auch riechen -, und dann durch eine Tür, die in eine Art Wohnzimmer für die Arbeiter führte. Dann kamen sie in das riesige Studio, wo zwei Männer - den einen erkannte er wieder: es war der, den sie vorhin im Hof gesehen hatten - an langen Tischen saßen und auf Papierbögen, so groß wie Tischdecken, zeichneten, aber keiner von beiden blickte auch nur auf. Wieder hinaus, diesmal jedoch auf einem überdachten Weg - das war die Loggia -, und hinein ins Haupthaus und in eine große Küche, wo auf einem fettigen Holzherd Töpfe standen und schmutziges Geschirr und Besteck sich in der Spüle stapelte. Fette, faule, grünschillernde Schmeißfliegen saßen seelenruhig auf den Wänden und Fenstern.
    »Das ist die Küche«, sagte der Spülwasser-Mann. Sie drehten eine Runde durch den Raum und folgten dann seinen knochigen Schultern in einen großen, mit einem Esstisch versehenen Alkoven, in dem so viele Bilder, Statuen, Teppiche und Tierfelle - was war denn das? Ein Dachs? - ausgestellt waren, dass es für ein ganzes Museum gereicht hätte, bogen dann scharf nach links ab und traten in ein riesiges Zimmer, das mit noch mehr Plunder vollgestopft war und durch dessen Fenster man den See sehen konnte, blaugrau wie eine Prellung.
    Sie sahen die Hausherrin, bevor diese sie sah. Sie saß am Fenster, in einem seltsamen Sessel mit einer hohen Lehne aus vielen schmalen Leisten, die an eine Hummerfalle erinnerten, und hatte ihr rumfarbenes Haar aufgesteckt, so dass ihre Ohren leuchteten wie Muscheln, reinweiß.
    Sowohl auf dem niedrigen Tisch zu ihrer Linken als auch auf dem Boden stapelten sich Bücher, und sie schien etwas in das große Buch, das sie auf dem Schoß hatte, zu schreiben. Er sah Gertrude von der Seite an: Sie hatte schon wieder diesen Äffchen Mund und hielt die Hände gefaltet, als säße sie in der Kirche. Mit aufgerissenen Augen sah sie all die schönen Dinge - den Flügel, die Stoffe und Bilder, die Buntglaslampen und die Bücher in den nach Maß gefertigten Regalen aus poliertem Holz -, und am liebsten hätte er sie noch einmal angezischt, doch er tat es nicht.
    Er spürte dasselbe wie sie: Sie waren drinnen, im Allerheiligsten, wo die weiße Elite ihr Leben im Müßiggang führte, und für sie beide war es eine neue Welt, so phantastisch wie Kapitän Nemos Unterseeboot oder das Raumschiff, das H. G. Wells zum Mond fliegen ließ. Was wussten sie schon? Sie waren Bajans. Klein und dumm. Bei diesem Gedanken sah er sich wieder als kleinen Jungen, der voller Scham und Erregung unter Schilfpalmen und Molukkenbohnen versteckt hinter dem großen Haus von Mr. Brighton, dem Plantagenbesitzer, hockte. Das halbe Dorf war ebenfalls dort, ebenfalls versteckt, und sah mit schamerfüllten Gesichtern zu, wie er und seine weißen Gäste auf der Terrasse Tee tranken, wie sie mit abgespreiztem kleinem Finger die winzigen Tassen zum Mund führten, wie die weißen Damen kerzengerade dasaßen und mit ihren Vogelstimmchen zwitscherten und nach dem Teegebäck griffen und daran knabberten, ohne dass auch nur ein Krümel herunterfiel oder sie ihre blendendweißen Handschuhe mit einem Sahnetröpfchen oder Zuckerkörnchen beschmutzten. So also machte man das, dachten alle, und sie dachten auch an ihre zusammengenagelten Bretterbuden, die auf schiefen weißen Kalksteinen standen, und stellten sich vor, wie ihre Nachbarn dort saßen, allesamt schwarz, schwarz wie eine Hurrikannacht, und mit abgespreiztem kleinem Finger Tässchen hoben, die nicht größer waren als die in einem Puppenhaus. Der Spülwasser-Mann räusperte sich. »Ähm, Mrs. Borthwick«, sagte er und scharrte mit der Schuhspitze auf dem Teppich herum, als wäre auch er ganz nervös, »tut mir leid, Sie zu stören, aber Sie hatten gesagt, ich

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