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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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können, der Vorhang über ihr in der Schwebe, auf ihren Lippen das alles offenbarende Wort. »Das«, sagte sie und zog das S in die Länge, bis der ganze Raum von seinem warnenden Wispern und Zischen erfüllt war, »das können Sie durchaus.« Sie hielt inne, um Luft zu holen. »Als erstes könnten Sie die Polizei rufen.«
    Seine Augen irrten durchs Foyer. Der Mann war völlig verschreckt, bereits am Boden, das sah sie, hatte nur noch den einen Wunsch, sie sanfter zu stimmen, zu beschwichtigen, einzulenken. Schließlich musste er an den Ruf des Hotels denken. An die anderen Gäste. An seinen eigenen dürren, nichtswürdigen Hals. »Die Polizei?«
    Wieder überkam sie dieser Zorn, ein Aufwallen des Blutes und der Hormone, das sie erbeben ließ, während sie den Handschuh abstreifte und mit einem Finger anklagend auf den Empfangschef zeigte. »Ich will, dass dieser Mann verhaftet wird.«
    »Bitte«, hörte sie den Geschäftsführer sagen, »lassen Sie uns in mein Büro gehen, und dann werden wir sicher -«
    »Wegen Beihilfe zu einem Sittlichkeitsdelikt. Und Sie lasse ich auch verhaften -«
    »Madam, bitte« - würde er sie anfassen, würde er es wagen, nach ihrem Arm zu greifen? -, »seien Sie doch vernünftig. Was immer das Problem sein mag, ich bin mir sicher, dass wir Abhilfe schaffen können, wenn Sie uns Gelegenheit dazu geben. In meinem Büro. Würden Sie sich in meinem Büro nicht wohler fühlen?«
    Sie wich zurück, riss ihren Arm los. »Fassen Sie mich nicht an«, fauchte sie, glühendvor Zorn. »Mein Mann ist da oben, begreifen Sie das denn nicht?« Sie hob das Kinn, zwang sich, den Blick kreisen zu lassen, und jetzt wandten sich die Leute ab, murmelten verlegen, beim Lauschen und Gaffen erwischt. »Er ist da oben«, sagte sie und kämpfte gegen das Zittern in ihrer Stimme an, während ihr zugleich die Tränen - echte Tränen, ehrlich, spontan und heiß wie Blut - brennend in die Augen schossen und ihre Wangen benetzten, »da oben ... mit seiner ... seiner Hure.«
    Als sie anderthalb Stunden später in ihrem eigenen Hotel die Treppe ins Foyer hinunterrauschte, war sie so gefasst, wie man das unter den gegebenen Umständen erwarten konnte. Sie hatte Gelegenheit gehabt, eine Kleinigkeit zu essen - Austern Rockefeller und eine Handvoll Cräcker, mehr erlaubte der Zustand ihrer Nerven nicht -, und sich etwas zurückhaltender gekleidet (ein wadenlanges violettes Kleid mit tiefer Taille, Kragen, Manschetten und Saum aus smaragdgrüner Seide sowie einer Hüftschleife in derselben Farbe, dazu einen breitkrempigen Filzhut in einem hübschen Hellgrün, das ihre Augen besonders gut zur Geltung brachte. Und natürlich ihren Skarabäus-Ring. Und ihre Perlen und die Lorgnette*.) Ihr Anwalt hatte ihr nur zwei Champagner-Cocktails zur Beruhigung gestattet, und sie hatte sich, zumindest vorläufig, strikt von der Pravaz ferngehalten, denn Ziel und Zweck des Ganzen, ihrer ersten Pressekonferenz seit Jahren, war es, eine Kombination aus modischer Mattigkeit und dem nagenden Kummer der verlassenen Ehefrau zu vermitteln, und sie begriff, dass ein Übermaß an Mattigkeit - oder auch an Kummer - sich negativ für sie auswirken könnte.
     
    * Miriam war für die Originalität ihrer Kleidung bekannt.
     
    Trotz alledem - und trotz ihrer Erfahrung mit Fotografen während ihrer Jahre mit Frank - erschreckte sie das Blitzlichtpulver so sehr, dass ihr einen Moment lang völlig entfiel, wo sie war, und sich mit dem weißen Rauch** auch die Rede, die sie sich zurechtgelegt hatte, verflüchtigte. Sie hatte wohl die Hand ausgestreckt, um sich irgendwo abzustützen - sie war geblendet, vollkommen geblendet -, denn Mr. Jackson, ihr Anwalt, ein Geschäftspartner von Mr. Fake, nahm sie am Ellbogen und flüsterte ihr ein paar ermutigende Worte zu, während bereits der nächste Blitz aufflammte. »Ganz ruhig«, sagte er, »das ist gut, sehr gut. Schauen Sie möglichst bekümmert drein. So ist’s recht. Schön.«
     
    ** Magnesiumoxid. Erinnert sich noch jemand an Magnesiumoxid? Das berühmte Foto von mir und drei anderen Schülern, die wir uns über Wrieto-Sans Schulter beugen, während er mit seinem Arbeitsgerät hantiert, wurde natürlich im Zeitalter der Blitzlampe aufgenommen, aber ich habe immer noch das Gedenkfoto, für das ich auf ausdrücklichen Wunsch meines Vaters posierte, als ich etwa vier Jahre zuvor in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war. Das Bild zeigt einen ernsten, schlanken (ich wünschte, das träfe heute noch zu)

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