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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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- wie sogar er bemerkte -, hob er schließlich grüßend einen Finger an die Mütze.
    Das Foyer war belebter, als sie gedacht hatte, und sie musste einen Augenblick hinter einem Paar warten, das sich gerade anmeldete (und genug Gepäck für eine Expedition nach Timbuktu dabeihatte), ehe sie die Aufmerksamkeit des Empfangschefs auf sich lenken konnte. Er war in den Dreißigern, ein Mann mit Zahnbürstenschnauzer und eingeöltem blauschwarzem Haar, das seehundartig glänzte, und sie kannte ihn nicht, aber heutzutage herrschte beim Personal eben eine skandalöse Fluktuation, ganz anders als früher, als man damit rechnen konnte, über Jahre hinweg dieselben Gesichter zu sehen. Er zeigte seine Zähne. »Kann ich Ihnen helfen, Madam?«
    »Ja, ich bin Mrs. Frank Lloyd Wright. Wie ich höre, logiert mein Mann zur Zeit hier.« Hinter ihr am Eingang kam plötzlich Betriebsamkeit auf, Menschen drängten aus der Kälte herein, Hotelpagen brachten Gepäck. Ein großer, dicker Mann in einem schönen wollenen Maßanzug ließ sich auf der anderen Seite des Foyers in einen Sessel sinken und erhob sich unter schallendem Gelächter sogleich wieder, um eine schicke junge Frau im Fuchspelzmantel zu begrüßen. Von irgendwoher wehte Musik herüber, zwei Takte eines populären Lieds, und draußen auf der Straße hupte jemand ungeduldig.
    Der Empfangschef sah sie ausdruckslos an. »Mrs. Wright, sagten Sie?«
    »Mrs. Frank Lloyd Wright«, erwiderte sie, und der Mann, der neben ihr an der langen marmornen Theke stand, um sich anzumelden, warf ihr einen unauffälligen Blick zu, »und ich habe allen Anlass zu glauben, dass mein Mann sich unter verdächtigen Umständen hier befindet. Wenn ich bitte mal in das Gästebuch schauen dürfte.«
    »Das ist leider nicht möglich, Madam. Es verstößt gegen unsere Vorschriften.«
    »Das ist sein Automobil da draußen am Straßenrand. Das ist unser Chauffeur, der da am Steuer sitzt. Ich fordere Sie noch einmal auf: Zeigen Sie mir das Gästebuch.«
    Der Mann neben ihr - flüchtig sah sie Koteletten, einen gestärkten Kragen, das gerötete Gesicht des Alkoholikers - starrte sie jetzt unverhohlen an. War sie laut geworden? Das hatte sie nicht beabsichtigt. Sie hatte sich vorgenommen, um jeden Preis ruhig zu bleiben, keine Szene zu machen - jedenfalls keine wüste -, und nun war sie bereits dabei, die Beherrschung zu verlieren. Der Empfangschef hatte den Blick unverwandt auf sie gerichtet, einen abschätzigen Blick, der sie zur Null erklärte, zu einer lästigen, gekränkten Null und sonst gar nichts, und sie spürte, wie eine Welle von Emotionen in ihr aufstieg und sie schier erstickte - sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so schwierig werden würde, so verwirrend, so tragisch, aber es führte kein Weg daran vorbei: Frank war mit seiner Buhle oben, und sie stand wie eine Bittstellerin an der Rezeption.
    »Es tut mir leid«, sagte der Empfangschef, und plötzlich brach die Welle aus ihr heraus, ein Zorn, der sie verzehrte wie weißer Phosphor. Sie schnappte nach dem Gästebuch, doch seine Hände waren sofort da, schossen aus den Manschetten seines Hemdes hervor, und dann zerrten sie doch tatsächlich an dem Buch wie zwei Kinder, die sich im Sandkasten um ein Spielzeug stritten, und irgend jemand - war sie das? - rief: »Holen Sie den Geschäftsführer! Holen Sie sofort den Geschäftsführer! «
    Ja, es war eine Szene - sie machte eine Szene und bedauerte es kein bisschen. Sie hörte, wie der Empfangschef eine Art Jauler ausstieß - ein Quieken, wie man es von einem Nagetier im Käfig erwarten würde -, dann entglitt ihr das Gästebuch. Man starrte sie an. Sämtliches Eis im Raum schmolz und gefror sogleich wieder. Und nun kam der Geschäftsführer steifbeinig herbeigelaufen, mit flatternden Rockschößen und wildem Blick, ein paar helle Kuchenkrümel in den Mundwinkeln. »Was ist hier los?« keuchte er und warf dem Empfangschef einen erbosten Blick zu. »Was ist das für ein, ein« - jetzt schien er sie mit den Augen zu erfassen, ein rascher Blick von ihren Schuhen über Rock, Pelz und Schmuck bis zu ihrem wutstarren, verkniffenen Gesicht - »Durcheinander? Stimmt etwas nicht, Madam? Kann ich Ihnen helfen?«
    Jetzt starrten alle, die im Raum waren, zu ihr hin, wobei die Diskreteren unter ihnen es zu verbergen suchten, indem sie vorgaben, auf die Uhr oder in die Zeitung zu schauen oder sich zu unterhalten, aber ihr machte man nichts vor. Sie hätte ebensogut auf dem Proszenium des Apollo-Theaters thronen

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