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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Seelen. Nach einem langen Spaziergang um den See war Olgivanna von dem kräftigen, würzigen Geruch von Violas Sauerbraten und einem Feuer aus Eichenscheiten und dem süß duftenden Holz eines vom Wind umgerissenen Apfelbaums empfangen worden, das Frank am selben Tag gehackt und gestapelt hatte. Draußen vor dem Fenster zogen sich unter einem kalten roten Sonnenuntergang rosa Wolkenbänder über die gesamte Breite des Himmels. Svetlana saß über einer Zeichnung, das Baby schlief, Frank war in seinem Arbeitszimmer. Olgivanna half Viola, sie deckte den Tisch, schob in jede gefaltete Serviette ein rotgeflecktes Blatt und verwendete einige Zeit auf ein Arrangement aus Trockenblumen und Kiefernzapfen, die sie auf ihrem Spaziergang gesammelt hatte - ganz schlicht, aber es würde Frank gefallen. Er holte gern die Natur ins Haus. Sie hatten schon einen kleinen Ausflug mit dem Cadillac zu einem örtlichen Farmer gemacht, um ihre Halloween-Kürbisse und die zugehörigen Ziermaiskolben zu besorgen, und in praktisch jedem Gefäß, das als Vase dienen konnte, stand ein Strauß Rohrkolben oder Schafgarbe oder wilde Möhre.
    Während des Essens sahen sie zu, wie der See von Kupfer zu Silber zu Blei wurde, und dann begann sich das Licht im Zimmer in den Fensterscheiben zu spiegeln, und Frank ging durchs Haus und schaltete überall die Lampen ein. Danach kam Mrs. Devine, um Franks Diktat aufzunehmen, derweil die Köchin das Geschirr spülte und einräumte und Olgivanna die Kinder ins Bett brachte, das Baby im Schlafzimmer, Svetlana auf der verglasten Veranda. Dann setzte sie sich mit ihrem Strickzeug an den Kamin - sie strickte den Kindern Mützen und Schals mit einem selbstentworfenen Schneeflockenmuster - und lauschte dem Auf und Ab von Franks Stimme. Sie hörte ihm ausgesprochen gerne zu, auch wenn er sich korrigierte oder die Geduld verlor und anfing herumzuwitzeln oder ein Lied anstimmte, denn er erzählte eine Geschichte, die Geschichte seiner Kindheit, als man ihn jeden Sommer auf die Farm seines Onkel James geschickt hatte, wo er von morgens bis abends schuftete. »>Wer säen will, muss hacken««, diktierte er mit seiner klaren, kräftigen Stimme, dann hielt er inne und schaute über den Rand seiner Brille. »Neuer Absatz. Und dann weiter: >Und wer hackt, um dereinst zu ernten - der muss auch Unkraut jäten.««
    Es war zehn Uhr, Mrs. Devine musste mehrmals hintereinander ein Gähnen unterdrücken, Frank dagegen war wie immer unermüdlich, in den Baumwipfeln rauschte der Wind, die Uhr auf dem Kaminsims schlug mit schläfrig-monotonem Dröhnen die Zeit, und plötzlich klopfte es an die Küchentür. Das erste, woran Olgivanna dachte, war Mrs. Simpsons Sohn - brachte er die Angel zurück? Wollte er weitersuchen? Doch dann schaute sie zu Frank hinüber, und ihr wurde eiskalt. Er war so rasch vom Stuhl hochgeschossen, dass die Blätter mit seinen Notizen heruntergefallen und zu seinen Füßen gelandet waren, und stand nun angespannt da und sah zur Küche, wo sich Viola in Hausschuhen und einer grauen Strickjacke, die das glänzende Blumenmuster ihres Kleides verbarg, schwerfällig erhob, um an die Tür zu gehen.
    Eine Männerstimme ertönte aus der Nacht: »Ist Mr. Richardson zu Hause?« Und die nichtsahnende Viola antwortete: »Ja, ich glaube schon.«
    Im nächsten Moment drängten ein halbes Dutzend Männer in Hut und Mantel herein, während Frank einen Schritt nach hinten taumelte, als wäre er unsicher auf den Beinen, und Olgivanna sah die Angst in seinen Augen, echte Angst, zum erstenmal, seit sie ihn kannte. Der Raum füllte sich. In der Küche, auf der Veranda standen weitere Männer. Mit hart und wächsern aussehenden Gesichtern blinzelten sie ins Licht, und sie brachten einen Geruch mit, einen strengen Geruch, nach Nacht, dem urzeitlichen Matsch an ihren Füßen, Zigarrenrauch. Mrs. Devine, die Stenographin, sog so jäh und scharf die Luft ein, dass es klang, als hätte jemand einen Reifen aufgestochen. Und Olgivanna dachte nur immer wieder: Wir sind die Richardsons, wir sind doch bloß die Richardsons. Wir sind Niemande. Wir sind harmlos. Die können uns nichts anhaben.
    »Sie sind alle verhaftet!« rief einer - der in der Mitte mit dem gewaltigen Kiefer, den brutal aussehenden, riesigen glänzenden Stiefeln und diesen Augen, die alles im Zimmer verschlangen und wieder ausspien -, und sie sah, dass er eine Dienstmarke hochhielt. Ein anderer Mann stand neben ihr, zu dicht neben ihr, und hauchte ihr seine Bieroder

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