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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Whiskyfahne oder was immer es war ins Gesicht, und plötzlich war sie, ohne es recht zu bemerken, aufgestanden, in der einen Hand baumelte an einem Faden die Mütze für das Baby, die andere lag am Kragen ihres Kleides. Dieser Überfall verwirrte ihre Sinne: Fremde in ihrem Haus, abscheuliche Fremde, als lebte sie noch unter der Geißel der Tscheka, als wäre sie noch in Russland und alles andere wäre nur ein Traum gewesen.
    »Das ist doch lächerlich«, raunzte Frank, entschlossen, sich nicht einschüchtern lassen. »Wegen was denn? Und wie kommen Sie überhaupt dazu, hier einfach so hereinzuplatzen?«
    In diesem Moment drängte sich ein großer Mann mit Hängebacken ins Zimmer, eine bedrohliche Gestalt in einem gelbbraunen Mantel, der an ihm herabhing wie eine Indianerdecke. »Jetzt haben wir sie«, brüllte er, »endlich! Wo ist das Kind?« Und bevor ihn jemand aufhalten konnte, riss er die Schlafzimmertür auf und stürzte sich mit einem Schrei auf Iovanna. »Ja, hier ist das Baby, hier drinnen ist es!«
    Frank wollte ihm nach, doch der Große, der Sheriff, hielt ihn fest - »Keine Handgreiflichkeiten«, sagte er, »kommen Sie bitte ohne Widerstand mit« -, und Frank sagte: »Holen Sie diesen Mann da raus, sonst -«
    Plötzlich war sie in Bewegung, bahnte sich gewaltsam einen Weg ins Schlafzimmer, wo der Mann im gelbbraunen Mantel Pussy gerade die Decke wegzog. Pussy riss die Augen auf und stieß beim Anblick dieser hässlichen, brutalen Visage den ersten erschrockenen Schrei aus. Es war der Anwalt, natürlich, Miriams Anwalt, und diese Erkenntnis brachte Olgivanna erst richtig in Fahrt. Sie stieß ihn zur Seite, ein kräftiger Stoß, und im nächsten Moment presste sie das Baby an sich, und jetzt war sie es, die schrie: »Verschwinden Sie! Dazu haben Sie kein Recht! Hören Sie auf, uns zu schikanieren!«
    Aber er hörte gar nicht zu, wankte bereits autoritätstrunken aus der Tür und rief mit mächtiger Stimme: »Wo ist das andere Kind, das von Hinzenberg?«
    Dann versank alles im Chaos, Svetlana wurde von einem Schlägertyp mit Pfannkuchengesicht von der Veranda hereingezerrt und heulte, brutal aus dem Schlaf gerissen, in ansteigenden Schluchzern, während Pussy kontrapunktisch mit der ganzen Kraft ihrer jungen Lungen brüllte und Frank mit den Männern an der Tür rang, derweil die Stenographin und die Köchin das Geschehen entsetzt verfolgten. Ja, schlimmer noch: angewidert. In dem ganzen Durcheinander, dem Hin- und
    Hergezerre, war es Violas Blick, der ihr beinah die Fassung geraubt hätte - dabei war sie fest entschlossen, nicht in Tränen auszubrechen, weder jetzt noch überhaupt, sie würde stark sein. Doch in den Augen dieser sanften, unauffälligen Frau, mit der sie nun seit sechs Wochen zusammenwohnten, tagaus, tagein, ihrer Gefährtin, der sie vertrauten und die ihnen vertraute, stand nur Verachtung. Es war, als wäre sie beim Putzen in der Küche auf eine Schlange getreten, hätte daraufhin dem Schrubber Zähne wachsen lassen und ihn angewiesen zuzubeißen, und Olgivanna hätte ihr am liebsten alles erklärt, ihr gesagt, dass sie gezwungen gewesen waren, so zu leben, zu lügen und fiktive Identitäten anzunehmen, sich zu ducken und verstecken wie Kriminelle, obwohl sie doch unschuldig waren, unschuldig schikaniert wurden. Miriam, hätte sie am liebsten gerufen, Miriam ist die Kriminelle.
    Aber neben ihr stand jetzt ein Mann, der sagte, dass sie mitkommen müsse. »Nein«, donnerte Frank. »Nehmen Sie mich mit, nur mich. Lassen Sie sie hierbleiben - wenn es sein muss, unter Bewachung, aber lassen Sie sie hierbleiben!« Svetlana riss sich los und rannte schreiend zu ihr, und Olgivanna verlor endgültig die Beherrschung. Plötzlich war es ihre Stimme, einzig und allein ihre Stimme, die alle im Zimmer hörten. »Es reicht!« schrie sie. »Sie sollten sich schämen, Sie alle! Merken Sie denn nicht, was für eine Angst Sie diesem Kind einjagen - diesen beiden Kindern?«
    Der mit dem Pfannkuchengesicht trat einen Schritt zurück. Der Sheriff lockerte seinen Griff um Franks Arm, worauf Frank ihm den Arm empört entwand. Die Kinder schnappten nach Luft, das Feuer knisterte, und sämtliche Männer im Zimmer sahen betreten auf ihre Schuhe.
    »So«, fauchte sie, als schüttelte sie einen Teppich aus, »wir werden uns nicht wehren, aber ich möchte, dass jeder von Ihnen diesem Kind hier« - sie drehte Svetlana mit dem Gesicht zu ihnen - »sagt, dass alles gut wird. Haben Sie mich verstanden? Gibt es in diesem

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