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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den abgenutzten Überresten der Sprache geschnitzt war, der englischen Sprache und allihrer Regeln und Eigenschaften, und wieso überhaupt über den Berg? War das Zielnicht normalerweise, auf den Berg zu gelangen? »Und«, dies mit einem Blick zu dem jeweils gerade anwesenden Rechtsanwalt, »die Sympathien der Öffentlichkeit haben sich zwar eindeutig zu unseren Gunsten verschoben, aber wir müssen unseren Vorteil nutzen. Wenn Miriam sich der Presse bedienen kann, können wir das schon lange.
    Meinst du nicht auch? Ist es nicht an der Zeit, dass wir unsere Version der Geschichte erzählen?«
    Es war der Tag nach ihrer Freilassung. Sie waren bei einem von Franks Freunden, denn sie durften den Bundesstaat Minnesota nicht verlassen, bis alle Klagen aufgehoben waren. Sie hatte Kopfweh, ihr Magen rebellierte. Als sie sich im Zimmer umsah, schien in ihrer näheren Umgebung alles zu verschwimmen und die Gestalt zu verändern, bis sie nichts mehr erkennen konnte. Sie dachte an ihre Mutter, die im Gefecht so wild und unbeugsam gewesen war, dass die Türken geschworen hatten, sie, sollte sie ihnen je in die Hände fallen, zwischen zwei Pferde zu binden und auseinanderreißen zu lassen. Das wünschte sie sich jetzt: zwei Pferde, die sie auseinanderrissen. Es wäre eine Freude im Vergleich zu einer Begegnung mit der Presse.
    »Es soll keine Pressekonferenz werden, nur ein Interview. Und zwar hier. Hier in diesem Zimmer. Mit nur einer Reporterin, einer Frau. Was sagst du dazu?« Sie blickte an ihm vorbei in die Tiefe des Zimmers, Palmwedel hoben sich vor dem Licht der Lampen ab wie die Finger einer riesigen, zugreifenden Hand, und das Muster des Perserteppichs dehnte sich mal aus, mal zog es sich zusammen. Sie war so erschöpft, dass sie ihre Antwort kaum im Kopf zu formulieren, geschweige denn auszusprechen vermochte.
    Die Anwälte - kampfesmüde und nicht mehr ganz so präsentabel - beugten sich vor. Frank schwieg. »Nein«, hauchte sie.
    Frank hatte neben ihr gesessen, hatte ihr sanft und fürsorglich über den Unterarm gestrichen, doch jetzt sprang er auf und begann, auf dem Teppich hin und her zu gehen. Das Licht der Deckenlampe ergoss sich über seine Stirn und sickerte in seine Augen, so dass sie selbst wie Lampen waren, strahlend, glühend. Er war unnachgiebig.
    Er war wütend. Und sie wusste, was jetzt kommen würde, wusste, dass er versuchen würde, sie herumzukriegen. »Aber all der Unflat und die Lügen, die Miriam verbreitet hat -«
    Diesmal bestimmter: »Nein.«
    »Doch«, sagte Frank. »Du musst es tun.«
    »Nein.«
    »Doch«, wiederholte er. »Unbedingt.«
    Und so erlebte sie ihre dritte schlaflose Nacht, diesmal in einem Bett von der Größe eines Tennisplatzes und mit einem Berg von Kissen, Fliederduft und Blick auf eine ruhige, mondbeschienene Straße. Sie spielte immer wieder durch, was sie sagen würde, wie sie ihren Standpunkt erklären würde, ihre Familiengeschichte, ihre lauteren Motive, ihre heilige Liebe zu Frank und ihren Kindern und nicht zuletzt zu Taliesin. Dass ihr unrecht getan worden sei. Dass eine rachsüchtige und womöglich psychisch labile Frau auf Schritt und Tritt ein falsches Bild von ihr vermittelt habe. Alles Reine ins Gegenteil verkehrt habe, so dass das Gute böse erschien, die Liebe erniedrigt wurde, der Neid dagegen erhaben wirkte und so weiter. Die ganze Nacht hielt sie lautlose Reden, die Worte pochten ihr unaufhörlich im Schädel, und ihre Augen wollten nicht zugehen, bis irgendwann das Licht durch die Fenster hämmerte, und sie murmelte immer noch lautlos vor sich hin, während sie allein auf ihrem Zimmer frühstückte, Toilette machte und sich langsam und matt erst die Haare kämmte, dann eine einfache Jettperlenkette auswählte, schließlich ein geradezu strenges Kleid und solide, respektable Schuhe anzog, Schuhe vom letzten Jahr, die alles, was sie zu sagen hatte, bestätigen und unterstreichen würden. Sie würde alles richtigstellen. Sich verteidigen. Sich jeder hochtrabenden Formulierung und bewegenden Gefühlsäußerung bedienen, die ihr zur Verfügung stand. Sie war kein niedriger Mensch. Sie stand über ihnen, über ihnen allen.
    Doch als sie in das Zimmer trat und sah, wie die Frau mit ihrem verkniffenen Gesicht und ihren lackierten Fingernägeln aufstand, Stift und Block wie einen Panzer an die Brust gedrückt, da brachte sie nichts anderes heraus als: »Könnten Sie bitte - schreiben Sie bitte, dass ich keine Tänzerin bin?«

 
Kapitel 8
    VALE, MIRIAM
     
    Ihr

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