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Die Frauen

Die Frauen

Titel: Die Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die Nerven. Norma ging ihr auf die Nerven. Der Gedanke an Weihnachten erfüllte sie mit tiefstem Abscheu, der Glitzerkram, die Christbaumkugeln, die falsche Fröhlichkeit, die alle verströmten, von der grinsenden Gastgeberin bis hin zum besoffenen Pennbruder. Frohe Weihnachten. Für sie glich das einem Schlachtruf. Chicago: Sie hasste es. Der Winter: Sie hasste ihn. Aber sie war gezwungen, sich immer wieder dem Wüten der Elemente auszusetzen und von ihrem Anwalt zum Arzt zu stapfen, dann zu einem anderen Arzt und wieder einem anderen, denn das einzige, was ihr Trost spendete, war absolute Mangelware.
    Und wo war Frank, während sie hier festsaß und von der Hand in den Mund lebte? Er war in Kalifornien, hatte Minnesota schließlich verlassen dürfen, vorbehaltlich der Entscheidung der Anklagejury hinsichtlich seines angeblichen Verstoßes gegen den Mann Act, und lebte auf Kosten seiner Freunde, seiner freigebigen Freunde, bestimmt saß er gerade unter einem Mandarinenbaum in der Sonne. Und sie neben ihm. Diese Schlampe. Diese Bruthenne. An irgendeinem endlosen, eisumfangenen, toten Nachmittag zwischen den Jahren - sie wusste nicht mehr genau, an welchem - beschloss sie, zu Leora zu fahren, die wieder nach Santa Monica zurückgekehrt war, so wie jeder vernünftige Mensch es getan hätte. Sie hatte gerade ihre Pravaz benutzt, und das Elixier rann durch ihre Venen, während der Heizkörper gluckste und Normas Mann durch den Flur stampfte, als wären seine Füße in Blei gegossen, und plötzlich hatte sie eine strahlende Vision von der roten Bougainvillea, die sich an der sonnengebleichten, weißverputzten Wand von Leoras Gästehaus hochrankte, die Kolibris verharrten schwebend in der Luft, und der Chinese kam auf Zehenspitzen aus dem Haus und trat mit erhobenem Tablett in eine breite Bahn aus Sonnenlicht. An nächsten Tag saß sie im Zug.
    Nicht dass sie Frank nach Kalifornien gefolgt wäre, das nun ganz gewiss nicht - Leora sah das genauso. Sie war aus gesundheitlichen Gründen gekommen. Wegen der Luft. Der Sonne. Und da Jesperson nun schon Franks Adresse für sie ausfindig gemacht hatte (und dafür auch noch bezahlt werden wollte, dieser Bluffer - in seinem Beruf ging es eben nur ums Geld), sah sie nicht ein, warum sie nicht dafür sorgen sollte, dass Frank strafrechtlich verfolgt wurde. Bei der ersten Gelegenheit, sobald sie sich von der Reise erholt hatte, ging sie zur Polizei und erstattete Strafanzeige gegen ihn wegen böswilligen Verlassens, und dann machte sie einen weiteren Ausflug nach Tijuana zu dem sehr entgegenkommenden kleinen braunhäutigen Mann in der dortigen farmacia. Das war alles gut und schön. Aber Frank war zur Zeit gar nicht in Los Angeles: Sie hatte Wind davon bekommen, dass er nach New York gefahren war, um die Versteigerung seiner kostbaren Drucke zu beaufsichtigen - eine Notlösung, um Taliesin vor der Bank zu retten. Sie telegrafierte umgehend ihrer neuen Anwältin*, und ihre neue Anwältin telegrafierte einem Kollegen in New York, der mit einer Beschlagnahmeverfügung für die Holzschnitte auf der Auktion erscheinen sollte, denn schließlich handelte es sich ja um gemeinschaftliches Eigentum. Zwei Tage lang saß sie mit Leora am Esstisch, im Wohnzimmer, auf den zusammengehörigen Chaiselongues im Garten, rauchte Zigaretten und rechnete sich ihren Anteil aus, der all ihre Schulden auf einen Schlag tilgen würde, und während dieser zwei Tage war sie glücklich, zum erstenmal seit Monaten wirklich glücklich, bis die Nachricht kam, dass die Sammlung für einen Bruchteil ihres eigentlichen Werts verkauft worden war - für weniger als 40000 Dollar - und, schlimmer noch, das Auktionshaus einen Rechtsanspruch auf den gesamten Verkaufserlös erhoben hatte, um frühere Kredite auf den Wert der Sammlung zu decken. Wieder einmal - und sie konnte nicht umhin, es als ein Werk der Vorsehung zu betrachten - hatte Frank sie ausgetrickst, auch wenn er sich selbst gleich mit ausgetrickst hatte.
     
    * Miss Tillie Cecille Levin. Vermutlich ging Miss Levin zu diesem Zeitpunkt besser auf Miriams wirkliche wie eingebildetete Bedürfnisse ein als Mr. Fake.
     
    »Ich weiß nicht, Leora, ich weiß wirklich nicht«, sagte sie, als ihr die Nachricht ganz ins Bewusstsein gedrungen war. »Manchmal habe ich den Eindruck, die ganze Welt ist gegen mich.« Sie schlürfte einen Cocktail, während das Sonnenlicht durch die Fenster hereinströmte, einen langen schmalen Streifen auf dem Teppich erhellte und einzelne Blumen

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